2016 06 15 Jersch Aktuelle Stunde

Wir sehen hier ein Totalversagen Ihrer Politik gegenüber den Kundenzentren

Stephan Jersch

Servicewüste statt Smart City - Terminqual und Wartehorror in Hamburgs Kundenzentren: Eine Abrechnung mit dem Personalabbau und der zunehmenden Bürgerferne in den Kundenzentren - beschönigend "Kundenzentrum 4.0" genannt.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 35. Sitzung am 15. Juni 2016

Aktuelle Stunde

Redeauszug: Stephan Jersch DIE LINKE

Servicewüste statt Smart City - Terminqual und Wartehorror in Hamburgs Kundenzentren

Stephan Jersch DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wor­über reden wir? Wir reden über Pflichtleistungen des Staats, die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt wahrnehmen müssen, nichts anderes. Und dass die Kundenzentren Schnittstellen zu den Bür­gerinnen und Bürgern, zu den Menschen in dieser Stadt sind, ist bereits erwähnt worden.

Wenn ich die Argumentation des Kollegen Schmitt so höre, dann kann ich nur sagen: Die Zustände in den Kundenzentren sind nicht erst seit gestern ei­gentlich unhaltbar, sie werden nur immer unhaltbarer in dieser Stadt, ohne dass Rot-Grün irgendet­was zur Lösung beitragen würde.

     (Beifall bei der LINKEN und der CDU – Dr. Monika Schaal SPD: Haben Sie nicht zuge­hört?)

Wir hören von Ihrer Seite nur Gummi, an dem man wirklich nichts festmachen kann.

     (Dirk Kienscherf SPD: Haben Sie nicht zuge­hört?)

- Zuhören hilft jetzt auch nicht mehr. Taten müs­sen her, Taten, die auch wirklich etwas bewirken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und da sind Sie seit Jahren im Obligo.

     (Beifall bei der LINKEN)

Nicht umsonst lesen wir im Koalitionsvertrag von Rot-Grün zu Kundenzentren nichts. Es wird von Effizienzsteigerung geredet und davon, dass die Ak­zeptanz der Bevölkerung dafür notwendig sei. Die
Zustände hätten es bedurft, dass viel früher und viel konkretere Maßnahmen erwähnt worden wä­ren. Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen - und da nehme ich die GRÜNEN besonders in die Pflicht, als Oppositionspartei bis zur letzten Legisla­turperiode - sehen wir hier ein Totalversagen Ihrer Politik im Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern.

     (Beifall bei der LINKEN - Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Sie wissen schon, dass wir uns gerade mit dem "Guten Ganztag" geeinigt haben?)

Sie haben von 2012 auf 2016 die Zahl der Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter - kaum ein Thema ist in dieser Bürgerschaft so gut abgefragt worden wie die Kundenzentren - von 256 auf 212 reduziert. Das ist ein völlig unhaltbarer Zustand, in den die Bezirke durch die SPD-Regierungen der letzten Legislaturperioden mit den Projekten Bezirke 2020 und OptiKuz hineingetrieben worden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bezirke und letztendlich der Senat müssen hier einen Offenbarungseid leisten, wenn man den Prüfbericht des Rechnungshofs in dem entsprechenden Bereich dazu liest: fehlerhafte Berechnung, voreiliger Per­sonalabbau. Dort haben Sie die Bezirke hingetrie­ben und die Bevölkerung letztendlich in Geiselhaft genommen.

     (Beifall bei der LINKEN)

Und wenn Sie Kundenzentren in den Bezirken tem­porär schließen, dann führt das natürlich auch nicht zu Bürgernähe, das kann man eindeutig sagen. Der Senat ist hier wirklich verantwortlich. Er hat mit sei­ner Politik eine - und da möchte ich der Kollegin Gallina dann doch widersprechen - Schlechtwetterzone an Bürgernähe geschaffen. Nichts anderes haben wir hier.

     (Beifall bei der LINKEN)

Vielleicht ganz kurz, weil Sie anscheinend nur Mo­debegriffe verstehen: Was Sie hier machen, ist das Kundenzentrum 4.0. Es wird immer weniger greif­bar für die Bürgerinnen und Bürger. Mein Versuch, gestern eine Terminvergabe anzustoßen, hat dazu geführt, dass ich in zwei Kundenzentren online nicht einen einzigen Termin angeboten bekommen habe.

     (Katja Suding FDP: Das wäre Ihnen in den Zentren auch so ergangen!)

Das ist der Zustand, und er lässt sich leicht ändern: Wir brauchen genügend Personal.

     (Beifall bei der LINKEN)

Das heißt, wir brauchen nicht Ihre Notpflaster an Personal, sondern wirklich ausreichend Personal. Wir brauchen breit aufgestellte Kundenzentren in der Fläche. Und das heißt nicht die Berücksichtigung der Analysen des Rechnungshofs, der eine Kritik des Standortkonzepts verlangt; wir brauchen wieder Kundenzentren, die an die Bürgerinnen und Bürger heranrücken.

     (Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen natürlich eine Einsatzreserve an Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern für die Kundenzentren, denn der Sommer-Run auf die Ausweise ist genauso überraschend wie Weihnachten jedes Jahr.

     (Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Und wir brauchen natürlich die funktionierende Online-Terminvergabe, als zusätzliche Institution. Zusätzlich - nicht umsonst hat der Sozialverband fest­ gestellt, dass zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahre offline sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das be­herzigen, dann können wir ganz schnell zu einem besseren Zustand in den Kundenzentren kommen. Ich zweifle allerdings mittlerweile an Ihrer Lernfähigkeit. - Danke.

     (Beifall bei der LINKEN)

Stephan Jersch DIE LINKE:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann sich jetzt über die einzelnen Punkte sicherlich unterhalten. Ich möchte an dieser Stelle nur den Rechnungshof zitieren, Herr Senator, der in seinem Bericht kritisiert, dass Stand Dezember 2014 bereits 25 Vollzeitäquivalente in den Kunden zentren eingespart worden seien,

     (Dennis Gladiator CDU: Das hat er jetzt erst gemerkt!)

ohne dass es eine vernünftige Evaluierung des Ergebnisses gegeben hätte. Da ist die Realität dann doch eine andere, als sie hier in der Regierungsko­alition gern gesehen wird.

Und was die Feststellung von Herrn Schmitt an­geht, man möge ihm Zeit geben: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie viel Zeit brauchen Sie denn noch? Ich weiß nicht, ob wir uns in einem Zeitdehnungsfeld befinden; es ist schon lange klar, was ge­macht werden muss, und da wird Handeln von Ihnen erwartet. Es kann nicht - und das betone ich ausdrücklich - die Lösung sein, dass das Spardiktat des Senats, dass das Spardiktat der Regie­rungskoalition gegenüber den Bezirken weiter zur Verstümmelung bezirklicher Angebote führt, denn damit entfremden wir die Bürgerinnen und Bürger von der Politik dieses Staates, dieses Landes, und dahin wollen wir alle nicht.

     (Beifall bei der LINKEN)

Ich denke, deswegen ist es eine Selbstverständlich­keit, dass hier jetzt auch einmal Geld in die Hand genommen wird und die Bezirke entlastet und nicht weiter mit irgendwelchen Diktaten dazu gezwungen werden, ihre Angebote weiter einzuschränken. - Danke.

     (Beifall bei der LINKEN)