Antrag: Flächenverbrauch stoppen - Entsieglungscent einführen
Den Antrag "Den Entsieglungscent einführen" Drucksache (22/16174) haben Stephan Jersch und die Linksfraktion in die Bürgerschaft Hamburg in der Sitzung am 18. September eingebracht. Ziel ist es, den Senat damit zu beauftragen, den Flächenverbrauch innerhalb der Freien und Hansestadt Hamburg auf null Hektar netto zu senken. Damit soll die weitere Flächenversiegelung in Hamburg begrenzt oder besser gestoppt werden. Dazu ging Stephan Jersch in der Debatte zweimal für die Linksfraktion ans Pult.
- "Den Entsieglungscent einführen" - Antrag der Fraktion DIE LINKE hier als Drucksache 22/16174
- Die Bürgerschaftsdebatte ist hier als Video insgesamt online und hier und hier die Beiträge in der Debatte von Stephan Jersch.
- Foto: M. Zapf, Bürgerschaft Hamburg
Hier die beiden Reden im Wortlaut:
Stephan Jersch DIE LINKE:
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Herr Präsident!
Lassen Sie uns an dieser Stelle wieder einmal über
Klimawandel, Klimafolgenanpassung
(Dirk Nockemann AfD: Klimafantasien!)
und den Widerspruch zwischen der Erkenntnis
der Notwendigkeit einerseits und andererseits dem
konkreten Handeln jenseits der Presseabteilungen
der Behörden reden: über Versiegelung in Ham-
burg.
Versiegelung, um das noch einmal hervorzuheben,
heißt per Definition, den Boden luft- und wasser-
dicht abzudecken, mit Auswirkungen auf den Was-
serhaushalt, dem erhöhten Risiko von örtlichen
Überschwemmungen, einer unterbrochenen Luft-
kühlung – insbesondere im Sommer – und der Zer-
störung der Bodenfauna und der Neubildung frucht-
barer Böden. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag
zwischen GRÜNEN und SPD von 2020 – das ist
hier schon häufiger zitiert worden –, dass die Koali-
tion ein aus Entwässerungsgebühren finanziertes
Entsiegelungsprogramm starten wird. So weit, so
gut; hehre Absichten, aber derer gibt es viele in der
Koalition.
2021 antwortete der Senat auf eine Anfrage des
Kollegen Kappe, dass die Planungen wegen ihrer
Komplexität nicht abgeschlossen seien – immerhin
ein Fortschritt zur Antwort auf unsere Anfrage von
2019, in der der Senat noch auf die heilsame Wir-
kung von Dach- und Fassadengrün verwies. Diesen
März aber führte der Senat in einer Antwort auf
meine Anfrage auf, dass er beispielhaft 1 340 Qua-
dratmeter für Entsiegelung in Hamburg identifiziert
habe. Das ist ein durchaus beispielhaftes Trauer-
spiel für die Entsiegelung in dieser Stadt.
(Beifall bei der LINKEN)
Hitzeinseln und Starkregengefahrengebiete veröf-
fentlichen und das als Erfolgsmeldung zu verkau-
fen, reicht eben nicht. Das so energisch wie mögli-
che Angehen der Folgen des Klimawandels weicht
einer absurden Kombination von Nicht-Handeln und
letztendlich der Warnung vor den Folgen des eige-
nen Nicht-Handelns, der eigenen Untätigkeit. Das
dann noch als Aufklärung und Erfolg zu verbrämen,
ist wirklich Regionalliga. Ob das sattelitengestützte
Versiegelungsmonitoring dem Praxistest standhält,
sei dahingestellt, und es ändert nichts daran, dass
jede weitere Versiegelung in Hamburg die Lage
verschlimmert.
Was tut die Stadt als Vorreiterin umweltpolitischen
Handelns nun? Laut Antwort auf meine Anfrage
vom März führt sie das sattelitengestützte Monito-
ring ein: Das ist passiert. Sie begründet ein För-
derprogramm: Auch das wurde gerade verkündet.
Und – das muss man sich mal vorstellen – "in den
Folgejahren" erarbeitet sie ein Entsiegelungskatas-
ter und sucht nach passenden Flächen für die Ent-
siegelung. "In den Folgejahren"? 2020 wurde es
ursprünglich mal beschlossen. Das ist eindeutig zu
wenig für das Klima, für die Stadt und für die Men-
schen in der Stadt.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Förderprogramm der IFB ist volumenmäßig,
vom Geld her, nicht weiter definiert. Immerhin
gibt es eins, und im eigenen Haus ist die Stadt
durchaus noch sparsamer, denn entsiegelte Flä-
chen kosten, und an Kosten haben unsere Bezir-
ke wenig Interesse, wo doch Schmalhans in dieser
Stadt bezirksseitig der Küchenmeister ist. Das De-
fizit bei der Pflege der Grünanlagen ist Legende,
und das Ergebnis euphemistisch als naturnah zu
bezeichnen, wäre schon angebracht.
Die Stadt ist gefragt, Vorbild zu sein: Entsiegelung,
die Schwammstadt und eine Netto-null-Politik bei
der Versiegelung sind das Gebot der Stunde. Dafür
müssen die Bezirke ins Boot geholt werden. Das
Interesse am und der Erfolg beim Entsiegeln muss
sofort gefördert werden, gerade für die Interessen
der Stadt und für die Menschen hier, denn die Fol-
gen der Versiegelung schlagen sich unmittelbar in
Gesundheit und in volkswirtschaftlichen Kosten nie-
der. Nicht zu handeln, ist fahrlässig.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen fordern wir in Anlehnung an das von der
Koalition als Erfolgsmodell bezeichnete Modell des
Umweltcents einen Entsiegelungscent
mit dem die Bezirke in die Lage versetzt werden,
die Versiegelung in der Pflege hinterher zu be-
zahlen. Das sind wir der Stadt, dem Klima und
den Menschen schuldig. Ich werbe für Annahme. –
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweiter Rederbeitrag Stephan Jersch in dieser Debatte:
Stephan Jersch DIE LINKE:
So, dann gehen wir mal in medias res: Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Dann doch auf die Beiträ-
ge der Kolleginnen Sturzenbecher und Sparr ge-
antwortet: Ich bin schon erstaunt, wie die Eigen-
wahrnehmung dieser Regierungskoalition von ihrer
Leistung ist, insbesondere im Umwelt- und Klima-
bereich. Da ist das Fremdbild aber ein ganz ande-
res als das Eigenbild:
(Zuruf von der AfD: Wundert mich bei ihnen
nicht!)
früh mit einem Klimaschutzgesetz auf den Weg ge-
macht, massiv in die Klimafolgenanpassung inves-
tiert? Da muss ein Paralleluniversum in dieser Stadt
existieren. Ich jedenfalls kann das so nicht wahr-
nehmen.
An dieser Stelle noch einmal – Kollege Kappe hat
breit erklärt, woher das Geld kommen soll –: Die
Konsequenz daraus, dass man das selbst bean-
tragt hat, ist mir in dieser Form neu. Dass Sie dann
nicht zustimmen wollen, finde ich etwas traurig,
aber nichtsdestotrotz gab es zumindest eine inhalt-
liche Übereinstimmung.
Jetzt aber gehe ich noch einmal auf die Antwort des
Senats vom März dieses Jahres auf meine Schriftli-
che Kleine Anfrage ein. Meine Fragen waren:
"Wie ist der Stand bei den Planungen für
ein Entsiegelungsprogramm, welches die Re-
gierungskoalition starten wollte? Gibt es eine
Zeitplanung beziehungsweise bis wann sol-
len die Planungen für ein Entsiegelungspro-
gramm abgeschlossen sein?"
Darauf antwortete der Senat:
"Weitere Bausteine sind ein Förderprogramm
für die Entsiegelungsmaßnahmen, das im
Laufe des Jahres veröffentlicht werden soll,"
– das haben Sie, ohne die Größe dieses För-
derungsprogramms zu benennen, tatsächlich ge-
macht –, "sowie ein Entsiegelungskataster und die
Suche nach Entsiegelungsmöglichkeiten in
hoch versiegelten Fokusräumen, die in den
Folgejahren durchgeführt werden sollen."
Sie sind schlicht nicht ins Handeln gekommen und
verbrämen das hinter wirklich leeren Worten, die
Sie hier zum Besten geben.
Die Versiegelung ist ein Problem, denn irgendje-
mand muss sich hinterher um die dann entsiegelten
Flächen kümmern. Im Regelfall sind das die Bezir-
ke, die aber nicht in die Lage versetzt worden sind,
dafür jemals genügend Mittel aufzubringen. Deswe-
gen gibt es die Rahmenzuweisung und natürlich
unsere Forderung, dass der genaue Bedarf für die
Entsiegelungen ermittelt werden muss. Insofern ist
dieser Antrag an dieser Stelle rund, solange die
Bezirke kein eigenes Haushaltsrecht haben, wofür
ich gern werbe.
(Beifall bei der LINKEN)
Daher kann ich Ihre Unklarheiten bezüglich unseres
Antragstexts nicht wirklich nachvollziehen. Unklar-
heiten aus der rechten Ecke kann ich sehr wohl
nachvollziehen, aber dahinter liegen dann auch
Welten von Verstand und von Auffassungen.
(Dirk Nockemann AfD: Wieso Welten?)
Insofern würde ich Ihnen wirklich anraten, jetzt
noch einmal kurz in den Antrag reinzuschauen und
sich im Klaren darüber zu werden, welche Hand-
lungsalternativen wir eigentlich haben, wenn – wie
Sie alle feststellen – Entsiegelung ein wichtiger
Punkt ist, der aber auf der anderen Seite in dieser
Stadt nicht wahrgenommen wird.
Dann doch noch mal an die rechte Seite: Netto-
Null heißt nicht, dass nirgendwo mehr etwas versie-
gelt wird, sondern dass am Ende dabei null heraus-
kommt. Lassen Sie also Ihre populistischen Aus-
deutungen unserer Anträge gern in Ihrer Schubla-
de.
Wie gesagt, ich werbe für die Annahme des An-
trags. – Danke.
(Beifall bei der LINKEN)