Debatte: Neue Gentechnik: Vorsorgeprinzip statt blinde Akzeptanz - Hamburg muss sich positionieren - Antrag der Fraktion DIE LINKE
Bürgerschaftsdebatte am 10. Juli auf Antrag von Stephan Jersch und der Linksfraktion. Thema: "Neue Gentechnik: Vorsorgeprinzip statt blinde Akzeptanz - Hamburg muss sich positionieren". Vor dem Hintergrund einer Aufweichung von Regelungen gegen Gentechnik in Rahmen der EU will die Linksfraktion starke Einschränkungen bei der Anwendung von Gentechnik in der Hamburger Landwirtschaft erreichen.
Zum Hintergrund siehe auch: Gentechnik braucht Grenzen: Senat muss Anwendung in Hamburg regeln
- Die Redebeiträge von Stephan Jersch zum Antrag der Linksfraktion in der Debatte in der Bürgerschaft sind hier und hier in der Mediathek zu finden. Die gesamte Debatte ist hier als Video. Der Antrag der Linksfraktion "Neue Gentechnik: Vorsorgeprinzip statt blinde Akzeptanz - Hamburg muss sich positionieren" (Drs. 22/15646) ist hier online (PDF).
- Foto: M.Zapf, Bürgerschaft
Rede im Wortlaut:
Neue Gentechnik: Vorsorgeprinzip statt blinder
Akzeptanz – Hamburg muss sich positionieren
Stephan Jersch DIE LINKE:
Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Die
Pläne der EU bezüglich der Zulassung von gen-
technisch veränderten Organismen haben im Früh-
jahr einen ziemlichen Weckruf durch die Republik
geschickt, und so ist der Einerseits-und-anderer-
seits-Antrag an dieser Stelle auch zu verstehen.
Die Gentechnik ist in der Welt, wir werden sie nicht
abschaffen können, aber kaum jemand – vielleicht
kleine Randgruppen – möchte sie auf dem eigenen
Teller haben.
Das, was die EU-Kommission oder das EU-Par-
lament schlussendlich bisher abgestimmt hat, ist
ein imposanter Erfolg der Gentechnikkonzerne, der
großen Agrarkonzerne, der Lebensmittelkonzerne,
mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Ham-
burg ist Mitglied im Netzwerk gentechnikfreier Re-
gionen, der Charta von Florenz, und hat es da-
rüber hinaus bisher unterlassen, eigene Schritte zu
unternehmen, um diesen Status abzusichern. Es
ist stattdessen immer wieder auf demnächst folgen-
de Bundesregelungen verwiesen worden, die dann
doch nie gekommen sind.
Die Deregulierung der EU ist letztendlich genau so,
als wenn man am Check-in-Schalter am Flughafen
die Aussage bekommt: Wir haben nur 20 techni-
sche Details dieses Flugzeugs geändert und des-
wegen keine neue Sicherheitszulassung dafür ge-
macht. Genau das ist es: Wenn nicht mehr als
20 Änderungen an den Genen der GVOs vorge-
nommen werden, dann gibt es eben keine Überprü-
fung, und dann flutschen sie sozusagen so durch.
Aber keiner informiert jemanden, weil die Auswei-
sungspflicht letztendlich entfallen ist; das heißt,
man kriegt nicht mal mehr mit, was man auf dem
Teller hat.
Deswegen sagen wir: Hamburg als größter Land-
wirtschaftsflächeninhaber muss handeln. Er muss
handeln bei den Pachtverträgen, im Nachhaltig-
keitsleitfaden, auch im Ernährungscluster muss ge-
handelt werden. Und wir müssen unmissverständ-
lich sagen: Die Stadt handelt gentechnikfrei, und
sie unterstützt es auf allen Ebenen. – Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweiter Redebeitrag:
Stephan Jersch DIE LINKE:
Danke schön, Herr Vorsitzender. – Meine Damen
und Herren! Ich glaube, es ist unstrittig, dass das
Vorsorgeprinzip oberste Priorität haben muss und
dass das mit den zumindest vorliegenden Vorschlä-
gen der EU – wenn sie denn durchgesetzt wer-
den – ausgehebelt würde. Gleichzeitig ist die Freie
und Hansestadt Hamburg Mitglied der Charta von
Florenz, und es ist der Fall, dass wir seit zehn
Jahren zuwarten auf Regelungen, die aus dem
Bund kommen sollen, zum Beispiel auf Opt-out-Re-
gelungen – und nichts ist passiert.
Das war die Überraschung bei der Recherche: Als
die Vorschläge der EU auf dem Tisch lagen, dass
Hamburg zwar Mitglied der Charta von Florenz
ist, aber die Stadt Hamburg als Grundeigentümerin
nicht einen ihrer Pachtverträge entsprechend ange-
passt und auch keine entsprechenden Regelungen
im Food Cluster vorgenommen hat – nein, an die-
ser Stelle kann man es geradezu Vertrauen, Gott-
vertrauen nennen – oder Blauäugigkeit. Deswegen:
Wenn es erneut mal wieder so schnell kommt und
die Vorschläge der EU im Raum sind, dann ist es
zu spät; wir werden diese Pachtverträge dann nicht
mehr so schnell geändert bekommen und müssen
schleunigst und subito handeln.
(Beifall bei der LINKEN – Glocke)
Stephan Jersch DIE LINKE:
Aber natürlich.
Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend):
Ich sage: Es ist relativ einfach, sich auszurechnen –
bei der durchschnittlichen Zeit, die ein Grundstück
für Landwirtschaft verpachtet ist –, dass wir noch
einen relativ großen Bestand haben, bei dem nichts
geregelt sein sollte. Dementsprechend glaube ich
nicht, dass irgendeine Bundesregelung einem sol-
chen Pachtvertrag – der Verpächter, die Verpäch-
terin hat schließlich die Musik bestellt – widerspre-
chen würde.
Ich bin also guter Dinge, dass eine solche vorausei-
lende, schützende Handlung für die Landwirtschaft
und für die Menschen in und um Hamburg einen
echten Effekt aufweisen würde. Daher sage ich:
Noch mal zuwarten wäre jetzt das falsche Handeln.
Wir sollten zumindest die Prozesse in Gang brin-
gen, damit man hinterher nicht wieder bitter davon
enttäuscht ist und eventuell in aller Eile handeln
muss, wenn alles letztendlich eine lange, lange Zeit
dauert, um das wirklich auf die Kette zu bringen.
Genau das Gleiche gilt für den Nachhaltigkeitsleit-
faden, finde ich. Auch dort muss das entsprechend
verankert werden, weil das Vorsorgeprinzip wie ge-
sagt vorgeht. Hamburg bekennt sich zur Charta von
Florenz, und ich kann nicht verstehen, dass wir hier
noch weiter warten wollen. Wie gesagt, Sie haben
aber die Chance, das Warten abzukürzen und un-
serem Antrag zuzustimmen. – Danke.
(Beifall bei der LINKEN)