Mit den Grundlagen des Rundfunkbeitrags stimmt etwas nicht

Stephan Jersch

Rede in der Bürgerschaft am 20.1.2016 zum Antrag "Rundfunkbeitrag endlich sozial gestalten - Zwangsvollstreckungen aussetzen"

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Umstellung der Rundfunkgebühren auf den Rundfunkbeitrag 2013 ist auch eine Evaluation dieser Umstellung beschlossen worden. Diese Evaluation ist im vergangenen Jahr erfolgt.

(Glocke)

Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend):

Mitte vergangenen Jahres kam dann die Berichterstattung zu dieser Evaluation, und die Rundfunkkommission hat in ihrer Zusammenfassung festgestellt, der Rundfunkbeitrag sei ein Erfolgsmodell und es gebe keinen grundlegenden Handlungsbedarf.
Nun hat unsere Fraktion im vergangenen Jahr bereits eine Schriftliche Kleine Anfrage zu diesem Thema gestellt und die Situation bei den Rundfunkbeiträgen in Erfahrung gebracht. Vor solchen Erfolgsmodellen kann man Angst haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hatten bis zum 8. November 2015 - das geht wiederum aus einer Anfrage der FDP-Fraktion hervor - über 35 000 Vollstreckungsersuchen für säumige Zahlerinnen und Zahler des Rundfunkbeitrags allein in Hamburg. Da kann man wirklich sagen, es läuft etwas nicht richtig in dieser Stadt, es läuft etwas nicht richtig mit dem Rundfunkbeitrag. Irgendwo ist da eine Fehlgewichtung.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann vor allen Dingen feststellen, dass es nicht der große Wurf ist, den die Rundfunkkommission sieht, sondern es eher ein Golfball, der in irgendeinem Sandbunker gelandet ist, jetzt so vor sich hintreibt und nicht aus diesem Bunker herauskommt.

Aber das wäre nicht so schlimm, wenn wir nicht den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hätten, die Grundversorgung der Bevölkerung wahrzunehmen. Und dieser Grundversorgung kann sich niemand mit der Umstellung auf den Rundfunkbeitrag entziehen. Das heißt, auch hier müssen wir für eine sozial gerechte Regelung sorgen, wenn nach Wohnungen bemessen wird.

Diese Regelungen, die 2013 eingeführt wurden, sind völlig unausgewuchtet und haben zu vielen sozialen Verwerfungen geführt. Die FDP stellt gern Anträge, die sich immer auf die Gewerbetreibenden beziehen, aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, auch wenn die FDP da durchaus recht hat.

(Michael Kruse FDP: Komme ich gleich zu! Nicht zu viel erraten!)

- Das ist dann Aufgabenteilung.
Nein, es gibt eine ganze Reihe von sozialen Ungerechtigkeiten, die bei dieser Umstellung aufgetreten sind und anscheinend von der Rundfunkkommission völlig ignoriert werden. Hier sind die Länder gefordert, initiativ zu werden und die entsprechenden Beitragsregeln sozial gerechter zu gestalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns anschauen, dass von den Außenständen gerade einmal 20 bis 29 Prozent wirklich durch die Vollstreckungsmaßnahmen eingezogen werden können, dann können wir doch an dieser Stelle wirklich nur sagen, man könne einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen. Hier stimmt etwas mit den Grundlagen dieses Rundfunkbeitrags nicht. Und da müssen wir dann entsprechend umstellen.

Vor allen Dingen möchten wir eine Justierung bei den gemeinnützigen Einrichtungen wie Jugendeinrichtungen, Kindereinrichtungen, Einrichtungen der Pflege, Senioreneinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus brauchen wir eine Sozialstaffelung. Viele Bürgerinnen und Bürger, die knapp über dem Hartz-IV-Satz liegen, müssen trotzdem den vollen Beitrag von 17,50 Euro aufbringen. Das ist eine soziale Ungerechtigkeit und aufgrund der Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, nicht wirklich zu leisten. Hier sieht die Beitragsordnung schlicht und ergreifend keine ausreichenden Regelungen vor. Dies muss unbedingt und zügig geändert werden, damit wir eine sozial gerechtere Regelung einführen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenso gibt es eine Vielzahl weiterer reformbedürftiger Punkte, die augenscheinlich mit der Umstellung der Rundfunkgebühren auf den Rundfunkbeitrag einfach mitkassiert worden sind nach dem Motto, vielleicht merkt es keiner. Das betrifft natürlich die Kleingartenlauben und diejenigen, die nur einen Radioempfang haben, und das betrifft natürlich die Regelung des Datenaustausches mit den Meldeämtern. Dazu kann ich nur sagen, dass der regelhafte Datenaustausch zwischen Meldeämtern und den einziehenden Stellen für die Rundfunkbeiträge datenschutzrechtlich von unserer Seite aus nicht zu vertreten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Was einer Stadt wie Hamburg ganz besonders schlecht zu Gesicht steht, sind mehr als 35 000 Vollstreckungsersuchen gegen Bürgerinnen und Bürger dieser Freien und Hansestadt Hamburg. Bei den meisten von ihnen ist überhaupt nichts zu holen, weil sie das Geld einfach nicht aufbringen können, da es keine sozialen Staffelungen In dieser Beitragsregelung gibt. Deswegen fordern wir in diesem Zusammenhang ein Moratorium bei den Vollstreckungsmaßnahmen, um den sozialen Frieden an dieser Stelle zumindest wieder teilweise herzustellen, bis es eine entsprechende sozial gerechtere Regelung für die Beitragsbemessung gibt. In diesem Sinne bitte ich natürlich um die Zustimmung für unseren Antrag, damit wir auch beim Rundfunkbeitrag endlich ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit hersteilen können. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Stephan Jersch DIE LINKE:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur ganz kurz auf die hier gegebenen Erwiderungen auf unseren Antrag und ganz besonders zu den Kollegen Schmidt und Müller: Ich weiß nicht, welches Verständnis Sie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben, wenn Sie der Meinung sind, dieser Antrag führe zu dessen Untergang. Ich halte ihn für das Beste, was wir im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bisher zu bieten hatten.

(Farid Müller GRÜNE: Haben Sie erläutert!)

Sicher kann man sich - Herr Kruse, da gebe ich Ihnen recht - über die Ausgestaltung der Grundversorgung unterhalten. Vielleicht braucht man dafür Begriffsbestimmungen, aber ich sehe nicht, dass ein sozial gerechter öffentlich-rechtlicher Rundfunk dem Untergang geweiht ist.

(Beifall bei der LINKEN und bei Michael Kruse FDP)

Das ist schlicht und ergreifend nicht richtig.
Und wenn ich hier die Verweise auf den 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrag höre, der eine Art Offenbarung zu unserem Antrag sein soll, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das beste der Kriterien zu den einzelnen Punkten, die wir aufgeführt haben, noch die Bezeichnung "auf einem guten Wege". Aber wir wollen alles, nicht nur die Hälfte. Was in diesem Vertrag steht, ist nicht das, was wir uns vorstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern sind zumindest Ihre hier vorgebrachten Redebeiträge für das Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Schlechteste, was passieren kann, und es tut mir fast schon leid, diese Diskussion angestoßen zu haben. Sie reden den öffentlich- rechtlichen Rundfunk richtig schlecht, und für das Thema soziale Gerechtigkeit in diesem Lande fehlt Ihnen anscheinend doch Empathie. Trotz alledem bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke schön.