"Sozialer Drehpass": Filmförderung und faire Arbeitsbedingungen in der Filmbranche
"Das Gebälk der Medienwirtschaft in Hamburg knirscht erheblich. Die Realität ist entgegen den Träumen, die man in der Medienbranche manches Mal hat, eine ganz andere. Sie ist wenig traumhaft. Bei Arbeitszeit, bei Entlohnung, bei Altersabsicherung, aber auch bei der Arbeitslosenversicherung ist der öffentlich-rechtliche Wurm drin."
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 36. Sitzung am 16. Juni 2016
Redeauszug: Stephan Jersch DIE LINKE
"Sozialer Drehpass": Filmförderung und faire Arbeitsbedingungen in der Filmbranche
Stephan Jersch DIE LINKE:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt den Vorsitz!)
Medienberufe, insbesondere in der Filmindustrie, gelten gemeinhin als spannend, als kreativ, als abwechslungsreich, in Hamburg sogar mit einem eigenen Wirtschaftscluster ausgestaltet. Sie möchten gern zu einem Fernseherzeugnis wechseln, das die Kolleginnen und Kollegen, die hinter den Kameras stehen, gern aufnehmen und es Ihnen dann heute Abend anbieten. Nichtsdestotrotz geht es erst einmal um die sozialen Umstände des Ganzen, und ich denke, das ist nicht minder wichtig.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Gebälk der Medienwirtschaft in Hamburg knirscht erheblich. Die Realität ist entgegen den Träumen, die man in der Medienbranche manches Mal hat, eine ganz andere. Sie ist wenig traumhaft. Bei Arbeitszeit, bei Entlohnung, bei Altersabsicherung, aber auch bei der Arbeitslosenversicherung ist der öffentlich-rechtliche Wurm in der Freien und Hansestadt, aber auch generell drin.
Es gibt eine Umfrage von Ver.di unter Betroffenen, nach denen mehr als 50 Prozent der Befragten sagen, dass sie einen 12- bis 14-Stunden-Tag haben. 45 Prozent sagen, dass sie nie oder selten tarifliche Pausen nutzen können. Mehr als 90 Prozent machen Mehrarbeit und mehr als 60 Prozent sehen bei sich gesundheitliche Auswirkungen ihrer Arbeitsverhältnisse. Die immer einmal wieder in der Arbeitswelt herangeführten Veränderungen, die so gut sein sollen, haben in der Medienbranche mit Sicherheit nur sehr nachgeordnet eine gute Auswirkung. Wir leiden in der Medienbranche unter immer weiter komprimierten Drehzeiten.
(Glocke)
Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend):
Danke schön, Frau Präsidentin. - Die Dreharbeiten leiden unter immer weiter komprimierten Drehzeiten. Die Lücken zwischen einzelnen Filmaufträgen werden immer größer. Die Zyklen sind nicht planbar und nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Filmbranche haben wirklich die Möglichkeit, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben, um damit die Zwischenräume zwischen den einzelnen Aufträgen abzudecken. Hier ist Handeln geboten.
(Beifall bei der LINKEN)
Wie dringend Handeln notwendig ist, sieht man daran, dass allein ver.di schon gezwungen war, einen Tarifvertrag aus purer Notwehr abzuschließen, bei dem ein 13-stündiger Arbeitstag möglich ist. Dass in der Filmbranche nicht alles Gold ist, was glänzt, ist mittlerweile klar, aber dass die Situation so schlecht ist, muss man sich wirklich noch einmal vor Augen führen.
Die sozialen Folgekosten - ich nenne nur Altersarmut - zeichnen sich doch schon ab und dagegen gilt es etwas ganz Konkretes zu tun. Wir haben von Ver.di die Erklärung im April vernommen, dass die Nordlichter-Filmreihe, vom NDR mit produziert und von zwei Medienförderungsanstalten gefördert, beabsichtigt hat, die Tarifgagen auf 75 Prozent zu reduzieren. Das ist für einen öffentlich-rechtlichen Bereich ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Zwei Filmförderanstalten, nordmedia und die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, machen bei diesem Kuhhandel mit. Das kann nicht wirklich ernst gemeint sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Insofern ist es natürlich äußerst positiv, dass der Programmdirektor des NDR-Fernsehens jetzt geäußert hat, dass die Tariftreue in die Aufträge des NDR übernommen wird. Das ist ein wichtiger Meilenstein, der einen Teil des Problems sicherlich entschärft. Nichtsdestotrotz wären Tariftreue, AltersabSicherung und die Konsequenzen, falls das nicht eingehalten wird, in der Filmförderanstalt von Hamburg und Schleswig-Holstein genau richtig untergebracht.
Es kann nicht wirklich das Ziel deutscher Filmförderung sein, nur den Wirtschaftsaspekt zu fördern und Konsequenzen aus dem Kommentar im "Tagesspiegel", in dem es hieß, US-Filmschaffende bezeichneten mittlerweile die deutschen Filmschaffen den als White Mexicans, zu ziehen. Das hat an der Stelle nichts mit kultureller Vielfalt zu tun. Das bezieht sich auf die Arbeitsbedingungen der Filmindustrie in Deutschland. Deswegen gilt es, bei der öffentlichen Filmförderung, für die Schleswig-Holstein und Hamburg mehr als 50 Prozent der Gelder gibt, auch sozial tätig zu werden und dieser Verantwortung nicht nur ins Auge zu blicken, sondern sie auch wahrzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Stattdessen wird die Spirale nach unten eröffnet. Viele Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger in der Filmbranche müssen erst einmal Erfahrung sammeln und sind deswegen für untertarifliche Bedingungen auf dem Markt zu haben. Das macht für alle anderen diese Spirale nach unten zu einer Lebenskarriere, die man nicht wirklich als Karriere benennen kann.
Mit Bezug auf den von Rot-Grün hier vor Kurzem beschlossenen grünen Drehpass kann ich nur Folgendes sagen: Es bringt den Kolleginnen und Kollegen in der Filmbranche nicht viel, wenn sie auf dem Filmdreh mit Lebensmitteln aus der Region über Wasser gehalten werden, ihre sozialen Bedingungen jedoch prekär sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Spitze des Eisbergs, die die Filmförderung Schleswig-Holstein ist - sie ist in direkter staatlicher Nähe -, stellt sich als nichts anderes als staatlich gefördertes Lohndumping dar. Das kann nicht wirklich der Ernst dieser rot-grünen Regierungsmehrheit sein. Deswegen finde ich es umso unverständlicher - aber das ist ja auch bereits gesagt worden -, dass Rot-Grün sich nicht in der Lage sieht, diesen Antrag an den Ausschuss zu überweisen. Die Verweigerung der Diskussion über soziale Aspekte, die anerkannterweise auch gewerkschaftlich völlig schieflaufen, ist bezeichnend für die Identität der Sozialdemokratie, die überaus weit weg ist von ihren sozialen Ansprüchen, zumindest von denen, die sie immer vorgegeben hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen sage ich, wer diesem Antrag nicht zu stimmt, müsste es wirklich interessiert begründen. Ich kann mir keinen Grund dafür vorstellen. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Stephan Jersch DIE LINKE:
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe anfangs gesagt, ich sei gespannt auf die Argumente, die ich jetzt hören werde. Ich muss sagen, das ist ein ziemlich zweidimensionales Niveau.
(Dr. Jörn Kruse AfD: Menschenfeindlich!)
Wenn ich den Kollegen Kruse jetzt deswegen ansehe, so hat das nicht viel damit zu tun. Das Niveau war allgemein zweidimensional, extrem flach. Aber dem Kollegen Wersich bin ich für seine Zitate besonders dankbar; davon werde ich noch etliche Wochen etwas haben, insbesondere so etwas wie Toleranz für den Graubereich der Kreativität. Worüber reden wir? Wir reden über Mindesteinhaltung
von Arbeitsschutzbestimmungen.
(Beifall bei Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)
Das heißt, nach zwölf Stunden wird das Licht ausgeschaltet, dann ist Schluss.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer es nicht schafft, nach zwölf Stunden mit seiner Arbeit fertig zu sein, ist dort falsch untergebracht.
Lieber Kollege Wersich, ich glaube, wir müssen uns in der Tat einmal über Betriebsschutz und Arbeitsschutz unterhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Insofern habe ich bei manch einem Diskussionsbeitrag durchaus das Gefühl gehabt, dass Sie eine Stasi der Filmwirtschaft mit Überwachungsinstrumenten ohne Ende bei uns vermuten. Bekennen Sie sich doch in Ihren Förderrichtlinien einfach zu diesen Zielsetzungen und führen Sie entsprechende Sanktionsmechanismen ein. Das hat gar nichts mit Überwachung, sondern mit Konsequenz zu tun.
(Glocke)
Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend):
Die Kreativität schießt allen in den Kopf und muss dann unbedingt zum Mund hinaus. Bekennen Sie sich in den Filmförderrichtlinien zu diesen Zielen, rufen Sie sie nicht nur irgendwo im Parkett aus und sagen Sie nicht, Sie täten schon irgendetwas, sondern schreiben Sie nieder, dass Sie es tun, setzen Sie sich das als Ziel. Dann besteht die Möglichkeit, dieses Ziel gemeinsam zu verfolgen und nicht nur die Absatzzahlen von Filmen, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen in der Medienwirtschaft zu kontrollieren. Was hier über die Bühne gegangen ist, ist für diese Kolleginnen und Kollegen und das, was sie leisten, wirklich erniedrigend. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)