Wir vermissen die Glaubwürdigkeit der Regierungskoalition bei den Atomtransporten durch den Hamburger Hafen
Zwei Redebeiträge von Stephan Jersch in der Bürgerschaftsdebatte am 14.7.2016 zur penetranten Weigerung des Senats, gefährliche Atomtransporte durch den Hamburger Hafen zu unterbinden. Die Ernsthaftigkeit, mit der Hamburg versprochen hat, den Atomausstieg tatkräftig voranzubringen, ist damit anzuzweifeln.
Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Glaubwürdigkeit erlangt man nicht mit Versprechungen. Glaubwürdigkeit bekommt mandadurch, dass das Ziel und das Handeln miteinander übereinstimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das vermissen wir in Hamburg nicht nur bei dieser Regierungskoalition, sondern auch bei den Atomtransporten durch den Hafen. Gerade wurde der Abschlussbericht der Endlagerkommission von der Presse vorgestellt. Auf dem Weg hin zu diesem Abschlussbericht ist der letzte Umweltverband in der Beteiligung verloren gegangen, ist ein Zeitplan verabschiedet worden, der so unrealistisch ist, wie es der Zeitplan für die Erstellung eines Hauptstadtflughafens oder einer elbnahen Philharmonie war.
Wir werden noch viel länger mit dem Problem desAtommülls in diesem Land leben müssen. Das ist der Makel deutscher Energiepolitik, deutscher Atompolitik. Man ist losmarschiert, bevor man die Konsequenzen komplett durchdacht hatte. Mit diesen Folgen, mit dieser Bürde müssen Hamburg und die Hamburgerinnen und Hamburger leben.
Was macht Hamburg jetzt für den Atomausstieg und für die Energiewende? Unser Erster Bürgermeister hat 2011 – ich zitiere – gesagt:
"Wenn die sieben alten AKWs und der Reaktor Krümmel nicht wieder ans Netz gehen und binnen zehn Jahren die Nutzung derAtomenergie endet, ist eine Verständigung über Parteigrenzen möglich und geboten. Hamburg wird dabei mithelfen. [...] Es ist jetzt nicht die Stunde für parteipolitisches Taktieren, es ist die Stunde für eine Entscheidung."
Hamburg hat sich entschieden. Hamburg hat sich dafür entschieden, die Vorgärten naturnäher zu machen und die Dächer grüner strahlen zu lassen.
(Dr. Monika Schaal SPD: Haben Sie kein Thema, Herr Jersch?)
Zehntausende Hamburgerinnen und Hamburger radeln ihren mit regenerativen Energien beheizten und stromversorgten Wohnungen entgegen. An dieser Stelle endet die Schönwettermeldung des Senats, wie Sie regelmäßig in der Presse als Meldung verbreitet wird. Das ist nicht die Wahrheit, die in Hamburg tatsächlich so auf dem Tisch liegt.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Schönwettermeldungen, die der Senat, die Regierungskoalition, immer wieder verbreitet, lässt aus, dass der Senat auf ordnungspolitische Maßnahmen verzichtet, dass es augenscheinlich Untätigkeit als Hauptbeschäftigung im Senat gibt, dass es ein Versagen
(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Wobei denn?)
bei der Sicherheit der Menschen rund um die Atomtransporte gibt und dass die Maxime Hamburger Wirtschaftspolitik immer noch "Profit vor Moral" ist. Diese Bürde hat Hamburg auszuhalten. Das wollen wir ändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Durchschnittlich 100 genehmigungspflichtige Kernbrennstofftransporte werden jedes Jahr über den Hamburger Hafen abgewickelt; daran hat sich in den letzten Jahren praktisch nichts geändert. Der Senat ist mit den Hafenbetrieben der Stadt dabei.
Er hat hier keine weiße Weste mehr. Wie wir aus den Anfragen erfahren mussten, hat die HHLA Container Terminal Altenwerder GmbH nach Paragraf 7 der Strahlenschutzverordnung bereits eine neue Umschlagsgenehmigung beantragt und erhalten.
Im Koalitionsvertrag steht, dass der Senat mit relevanten Betrieben im Hafen über Selbstbeschränkungen beim Umschlag auf seeseitige Transporte
reden und dort einen Verzicht erreichen möchte. Stattdessen lautete die Antwort auf unsere erste Anfrage, es seien noch keine Gespräche begonnen worden. Auf die zweite Anfrage wurde nun gesagt, es würden mittelfristig Gespräche geführt.
Die Frage bei dieser Senatspolitik ist doch letztendlich nur, wie weit hinter der nächsten Bürgerschaftswahl mittelfristig liegt.
(Beifall bei der LINKEN)
Um es noch einmal deutlich und aktuell zu sagen: Heute habe ich die Meldung bekommen, dass heute die Red Cedar im Hafen eingelaufen ist, die regelhaft Uranerzkonzentrat aus Namibia nach Hamburg bringt, und dass am 28. Juni 2016 24 Container mit der Quebec Express ankamen und durch Buchholz mit dem Lkw weiter verbreitet werden. Sicherheit für Hamburg sieht anders aus.
(Beifall bei der LINKEN)
Sicherheit für das Umland sieht ebenfalls anders aus, und vor allen Dingen sieht der Atomausstieg anders aus. Atomausstieg geht nicht halb. Atomausstieg muss richtig angegangen werden. Ein bisschen Atomausstieg wird es nicht geben. Hamburg leistet Beihilfe dazu, dass das Atomgeschäft in Deutschland, europaweit und weltweit weiter stattfindet. Dieses Geld, das Hamburg damit einnimmt, das, kann man sagen, stinkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Atomtransporte durch den Hafen sind keine Daseinsvorsorge. Sie zerstören die Umwelt, wo Uran gefördert wird. Sie gefährden die Menschen durch den Einsatz der Produkte, die daraus hergestellt werden. Sie gefährden Menschen an den Transportwegen, und sie gefährden Menschen und die Umwelt dort, wo diese Stoffe gelagert werden sollen. Hamburg muss zur Änderung dieser Situation beitragen. Das Einzige, was ich hier sehe, ist Untätigkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber nicht umsonst hat der Erste Bürgermeister in seinem Zitat von 2011 nicht von Handeln geredet, sondern nur von Entscheidungen. Das ist senatstypisch.
Ich kenne die Bedenken der Regierungskoalition, dass es erhebliche rechtliche Probleme gibt, den Hafen für Atomtransporte zu sperren.
(Dr. Monika Schaal SPD: Ach nein!)
Es werden nicht einmal die freiwilligen Gespräche geführt. Es wird nicht einmal, was wir erwarten, geprüft, wie man diese rechtlichen Probleme klären kann. Ich sehe aber auch keinerlei Gesetzesinitiativen, um diese rechtlichen Probleme aus dem Weg zu räumen. Der Atomausstieg muss auch durch Hamburg vollzogen werden. Er muss konsequent vollzogen werden, am besten mit einem lauten, hörbaren Knall, und nicht mit einem Puff, den man nirgendwo mitbekommt. Der Atomausstieg liegt diesem Senat anscheinend in keinster Weise am Herzen. Für uns ist es höchste Eisenbahn, dass den bisher leeren Versprechungen des Koalitionsvertrags jetzt Taten folgen. Wir fordern den Senat dazu auf, jetzt endlich den Versprechen Taten folgen zu lassen.
(Beifall bei der LINKEN)
[2. Teil]
Stephan Jersch DIE LINKE: Herr Präsident, meine lieben Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Das macht mich jetzt nicht unbedingt sprachlos, sondern bestätigt mich in dem einen oder anderen Punkt. Aber grundsätzlich, muss ich sagen, weiß ich, warum wir mit der Atomdiskussion in Hamburg da sind, wo wir im Moment sind, denn Sie beschäftigen sich nicht damit. Wenn Frau Dr. Schaal postuliert, ein Missstand sei dadurch erledigt, dass die SPD ihn für erledigt erklärt, dann ist das natürlich ein bisschen wenig.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wenn Sie implizit dann auch noch im Rahmen des Atomausstiegs vermehrt Transporte mit Atommaterialien prognostizieren, dann gebe ich Ihnen natürlich recht. Das sind viele Fragen, die auch Herr Tjarks zu Recht angesprochen hat, und man merkt, dass er sich bei diesem Thema wirklich gut auskennt. Insofern sind diesbezüglich Hopfen und Malz in diesem Senat vielleicht noch nicht ganz verloren. Nichtsdestotrotz hat dieser Senat bisher dafür nichts getan. Es wird Zeit, dass er etwas dafür tut, und dafür sind solche Debatten gut. Die Opposition muss antreten, um die Regierungskoalition an ihre moralische Verpflichtung und vor allen Dingen auch an die Punkte des Koalitionsvertrags zu erinnern, die durchzusetzen sind, wenn sie denn vernünftig sind. Dieser Punkt ist dann zumindest ein kleiner Beitrag dessen, was wir wollen und was für Hamburg und die Bundesrepublik gut ist. Alle anderen Fragen kann man diskutieren. Nicht umsonst habe ich mich in der Diskussion auf die Kernbrennstoffe bezogen und natürlich die Uranerzkonzentrate erwähnt. Es wäre natürlich schöner, wenn man darauf verzichten könnte, aber hier geht es in der Tat um die Kernbrennstoffe als ersten Schritt und vor allen Dingen um Maßnahmen dafür.
Besonders interessant finde ich aber, dass der Koalitionsvertrag – da ist vielleicht das Zitieren alter Reden nicht das Beste – augenscheinlich an mindestens zwei, wenn nicht drei Fraktionen in diesem Haus komplett vorbeigegangen ist, was die dortigen Vereinbarungen angehen. Ein kleines Update, Herr Kruse, wäre ganz gut gewesen. Dazu, dass Herr Gamm sich darauf nicht weiter bezieht, sage ich nicht viel. Aber wenn der Senat jetzt endlich in die Puschen kommt und etwas an seinen hauseigenen Firmen macht und nicht plötzlich fordert, dass das alle gemeinsam machen müssen, und dazu sagt, er verzichte auf Einnahmen aus diesem Bereich – das erwarte ich von öffentlichen Unternehmen – und meint, es rechtlich nicht anders handhaben zu können, um Privatfirmen zum Verzicht zu bewegen, dann ist es Aufgabe dieses Senats – unsere Zustimmung dafür hat er auf jeden Fall –, dafür zu sorgen, dass zumindest Betriebe im Besitz der Stadt an diesem Geschäft nicht weiterhin verdienen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist für alle, die hier Forderungen vermisst haben, ...
(Michael Kruse FDP: Wir waren in der Bundesregierung, als das beschlossen wurde! Das macht nichts sicherer!)
– Das macht natürlich nichts komplett sicherer, aber es ist ein Schritt und es wird ja nicht einmal der erste Schritt gegangen, sondern über den zweiten und dritten Schritt diskutiert. Lassen Sie uns doch erst einmal den ersten Schritt gehen, Herr Kruse.
(Beifall bei der LINKEN)
Es wäre schön, wenn die FDP sich tatkräftig am Atomausstieg beteiligen würde und vielleicht auch die anderen Reedereien durch ihre guten Firmenkontakte überzeugt. – Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
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