Antrag: Ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Griechenland

Stephan Jersch

Allein im Jahr 2016 sind laut UNHCR schon 157.000 Schutzsuchende auf dem Seeweg nach Griechenland gekommen. Auf ihrer Flucht vor Krieg und Verfolgung steckten nach der Schließung der Balkanroute zeitweise mehr als 20.000 Menschen an der griechisch-mazedonischen Grenze fest. Im Mai wurde das größte Flüchtlingslager in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien geräumt. Die Geflüchteten wurden auf größtenteils äußerst prekäre staatliche Flüchtlingslager in Nordgriechenland verteilt.

 

BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
21. Wahlperiode

Drucksache 21/4894 | Neufassung 21.06.16

Antrag
der Abgeordneten Christiane Schneider, Cansu Özdemir, Heike Sudmann, Sabine Boeddinghaus, Deniz Celik, Martin Dolzer, Norbert Hackbusch, Inge Hannemann, Stephan Jersch und Mehmet Yildiz (DIE LINKE)

Betr.:
Ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Griechenland

Allein im Jahr 2016 sind laut UNHCR schon 157.000 Schutzsuchende auf dem Seeweg nach Griechenland gekommen. Auf ihrer Flucht vor Krieg und Verfolgung steckten nach der Schließung der Balkanroute zeitweise mehr als 20.000 Menschen an der griechisch-mazedonischen Grenze fest. Im Mai wurde das größte Flüchtlingslager in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien geräumt. Die Geflüchteten wurden auf größtenteils äußerst prekäre staatliche Flüchtlingslager in Nordgriechenland verteilt.

Nach Angaben der griechischen Behörden halten sich allein auf dem Festland derzeit über 44.000 Geflüchtete in staatlichen Flüchtlingsunterkünften unter zum großen Teil sehr prekären Bedingungen auf. Weitere 8.400 befinden sich auf den Inseln der Ägäis. In Griechenland zu bleiben und dort einen Asylantrag zu stellen, ist für viele keine Option. Denn Griechenland steckt immer noch in einer Wirtschaftskrise und ist mit tausenden Schutzsuchenden überfordert. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bescheinigen dem griechischen Asylsystem seit Jahren „systematische Mängel“. Gleichzeitig warten Familienangehörige in anderen europäischen Ländern verzweifelt darauf, dass sie ihre Eltern, Kinder oder Partner nachholen dürfen.

Unter den gestrandeten Schutzsuchenden in Griechenland sind Familien mit Kindern, unbegleitete Minderjährige, Alte, Kranke, Menschen mit Behinderung und andere besonders Schutzbedürftige, die auf die Unterstützung ihrer Familien massiv angewiesen sind. Die Zahl der ankommenden Kinder ist laut UNHCR im Jahr 2016 auf 38 Prozent aller in Griechenland Ankommenden gestiegen. Unter ihnen ist eine hohe Zahl minderjähriger unbegleiteter Geflüchteter. Ihre Situation ist besonders brisant, da mangels ausreichender offener Unterkünfte Hunderte von ihnen in Flüchtlingshaftlagern und Polizeizellen (sogenannte Schutzhaft) ausharren müssen. Viele von ihnen haben Familienmitglieder in Hamburg, Deutschland oder anderen europäischen Ländern.

Seit Anfang Juni hat die griechische Regierung mit Hilfe des UNHCR und EASO eine Vorregistrierung begonnen, innerhalb derer jene Tausende Geflüchtete, die schon mehr als drei Monate mit abgelaufenen Papieren unter unwürdigen Bedingungen in den mehr als 40 staatlichen Massenlagern ausharren, erstmalig erfasst werden sollen.

Bis es für Einzelne zu einem Asylantrag oder auch einen Antrag auf Umsiedlung oder Familienzusammenführung kommen wird, kann durchaus mindestens ein Jahr vergehen.

Experten/-innen gehen davon aus, dass die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge sich andere Wege nach Zentraleuropa suchen und aufgrund ihrer Verzweiflung dabei auch hohe Risiken eingehen werden.

Seit dem EU-Türkei-Deal vom März 2016 schiebt Griechenland Geflüchtete von den Inseln auf das türkische Festland ab. Bis Mitte Juni wurden schon mehr als 450 Menschen in die Türkei geschickt. Menschenrechtsorganisationen kritisieren dieses Verfahren unter anderem, weil Menschenrechte und Sicherheit der Zurückgeschobenen in der Türkei nicht garantiert sind. Die Türkei kann nicht als sicherer Drittstaat bezeichnet werden.

Teil des Deals war die Abmachung, dass für jede/-n Syrer/-in, die/der in die Türkei zurückgeschoben werde, ein/-e andere/-r Syrer/-in auf sicherem Weg in die EU gebracht werden soll. Unabhängig davon, dass diese Abmachung zutiefst zynisch und menschenrechtlich fragwürdig ist, konnten bisher lediglich 177 Syrer/-innen davon profitieren und in die EU ausgeflogen werden, 54 davon nach Deutschland.

Bereits im September 2015 hatten die EU-Staaten gemeinsam beschlossen, insgesamt 160.000 schutzbedürftige Personen aus Griechenland und Italien in anderen Mitgliedstaaten aufzunehmen. Deutschland hatte sich verpflichtet, rund 27.500 Personen aus den beiden Staaten zu übernehmen (sogenanntes Relocation-Programm).

Bis Mitte März 2016 hat Deutschland davon jedoch erst 57 aufgenommen. Inzwischen fordern in ganz Deutschland selbstorganisierte Angehörigengruppen, Initiativen von Unterstützern/-innen und Parteien und Fraktionen die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland. Entsprechende Initiativen gibt es in Thüringen, Schleswig-Holstein, Bayern, München, Köln, Mannheim, Osnabrück, Offenbach, Wuppertal, Neustadt an der Weinstraße und im Wendland. In Hamburg fordert der „Ottenser Gesprächskreis zu Flucht und Migration“ unter dem Titel „Hamburg hat Platz“ die Aufnahme von 1.000 Geflüchteten aus Griechenland. In Schleswig-Holstein, München und Köln sind es Politiker/-innen der GRÜNEN, im bayerischen Landtag der SPD, die diese Forderungen vorbringen.

Laut aktuellen Meldungen ist die Zahl der Geflüchteten, die es nach Deutschland schaffen, massiv zurückgegangen. In Hamburg kommen derzeit ebenfalls deutlich weniger Menschen an. Im Monat Mai wurden Hamburg lediglich 545 Menschen zugewiesen, davon hatten nur 346 Unterbringungsbedarf.

Hamburg hat die Kapazitäten, einer größeren Anzahl Geflüchteter einen sicheren Aufenthaltsort zu ermöglichen. Angesichts des Leids in den Flüchtlingslagern ist ein humanitäres Aufnahmeprogramm dringend geboten.

Viele der in Hamburg Schutz Suchenden haben aufgrund ihres Status (zum Beispiel subsidiärer Schutz) kein Anrecht auf sofortigen Familiennachzug.

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird ersucht,

  1. ein der Größe der Stadt Hamburg angemessenes Kontingent zur Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland bereitzustellen. Besonders schutzbedürftige Geflüchtete und Verwandte von in Hamburg lebenden Menschen werden dabei besonders berücksichtigt. Eine sichere Anreise wird ermöglicht.

  2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass schnellstmöglich sichere Fluchtwege nach Europa und in die Bundesrepublik entstehen.

  3. der Bürgerschaft bis zum 14. Juli 2016 über seine Bemühungen zu berichten.