SKA: Aktuelle Entwicklung der Tideelbe II

Stephan Jersch

Der Tidenhub der Elbe am Pegel Sankt Pauli hat seit 2011 um 22 Zentimeter zugenommen, erklärt der Senat hier. Das konnte auf Grund zahlreicher Einflussparameter, die nicht mit dem Ausbau des Flusses zu tun haben, nicht vorhergesagt werden, genauso, wie weder die zukünftige Zunahme des Tidenhubs noch die benötigten Mittel für zukünftige Unterhaltungsbaggerungen prognostiziert werden können.

Die nötigen Maßnahmen zum Erhalt der Speicherstadt befinden sich noch in der Entwicklung.

24. April 2018

Schriftliche Kleine Anfrage

der Abgeordneten Norbert Hackbusch und Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 17.04.2018

und Antwort des Senats

- Drucksache 21/12731 -


Betr.:    Aktuelle Entwicklung der Tideelbe II

In der Drucksache 21/12249 vom 13.03. behauptet der Senat, die aktuellen Entwicklungen würden zu den Prognosen der BAW passen und verweist dazu auf den Abschlussbericht der Beweissicherung aus dem Jahre 2011.

Der Tidenhub als wichtige Beurteilungsgröße für die Entwicklung an der Tideelbe hat sich am Pegel St. Pauli jedoch seit 2011 nochmals um 24 cm erhöht, ohne das weitere größere Eingriffe in die Tideelbe zu verzeichnen sind.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Hamburg Port Authority AöR (HPA) wie folgt:


1. Wie erklärt der Senat den Anstieg des Tidenhubs um 24 cm seit 2011?

Der beobachtete Anstieg des Tidenhubs am Pegel St. Pauli beruht auf einer Reihe komplexer Wechselwirkungen von nicht im Einzelnen zu quantifizierenden Einflussfaktoren. Dabei sind im Wesentlichen zu nennen:

I) Nodaltide: Dieser Gezeiteneffekt mit einer Periode von 18,6 Jahren moduliert die halbtägige Gezeit M2 und damit den dominierenden Anteil am Tidehub. Das letzte Maximum der Tidehubmodulation lag in etwa in den Jahren 2015 bis 2016, was die Werte entsprechende beeinflusst.

II) Oberwasserabfluss: Dieser wirkt in dem Schwingungsraum der Tideelbe als natürlicher Dämpfer auf die durch Konvergenz und Reflexion bedingte Zunahme des Tidehubs von der Mündung bis nach Hamburg. Bei einem anhaltend deutlich niedrigeren Oberwasserabfluss (seit Mitte des Jahres 2013 im Mittel 70 % des 50-jährigen Abflusses) ist die natürliche Dämpfung herabgesetzt. Die lange Dauer dieser Phase ohne die sonst typischen erhöhten Frühjahrsabflüsse begünstigt das Aufschwingen der M2-Gezeit.     

III) Natürliche morphologische Veränderungen: Der „Durchbruch des Klotzenlochs“ hat zu einer Aufweitung des Querschnitts im Mündungstrichter geführt, wodurch von See mehr Energie bzw. Volumen in das Ästuar eingetragen wird. Eine fortschreitende Verlandung der Nebenelben, Nebenflüsse und Flachwasserbereiche verstärkt die Konvergenz und reduziert die Energieabsorption (Verlust von Flutraum).

IV) Degradation von Sohlstrukturen (Sandriffel) in der Unterelbe (Lühesand bis Wedel) als Folge eines fehlenden Sandnachschubs von Oberstrom, der dem geringen Oberwasserabfluss geschuldet ist. Daraus folgt eine Reduzierung der Sohlrauheit, was zu einer verminderten Energiedissipation durch Reibung führt. Anthropogene morphologische Veränderungen sind in dem betrachteten Zeitraum vernachlässigbar.

V) Grundsätzlich haben sich auch anthropogene Einflüsse in der Vergangenheit auf die Entwicklung des Tidehubs ausgewirkt, für den Zeitraum seit 2011 lässt sich ein nennenswerter Effekt dieser Art jedoch nicht belegen.

Generell ist anzumerken, dass der Tidenhub in Hamburg selbst in den Jahresmittelwerten noch einer hohen Variabilität unterliegt, die nicht nur von den astronomischen Kräften (Gezeiten), sondern auch von meteorologischen Einflüssen wie Luftdruck und Wind (Richtung und Geschwindigkeit) geprägt werden. So haben in der Vergangenheit interannuale Sprünge im Tidehub von bis zu 14 cm stattgefunden (z.B. vom Jahr 1992 auf das Jahr 1993). Die Differenz der amtlich festgestellten und im Deutschen Gewässerkundlichen Jahrbuch veröffentlichten Jahreshauptwerte für den Pegel St. Pauli bezogen auf das Jahr 2011 führt im Übrigen zu einem Ergebnis von 22 cm. Bezogen auf das Jahr 2010 sind es 19 cm.


2. Wo ist dieser Anstieg des Tidenhubs prognostiziert worden (bitte Zitierstelle angeben)?

Prognosen für einen Tidenhubanstieg, der nicht ausbaubedingten Wirkungen zuzuschreiben ist, finden nicht statt.


3. Welche Auswirkungen hat dieser Anstieg des Tidenhubs, insbesondere durch den starken Absunk des Tideniedrigwassers, auf
(a) die natürlichen Lebensräume an der Elbe und

Rechnerisch kommt es durch die Veränderung des mittleren Tidehochwassers und des mittleren Tideniedrigwassers zu einer Zunahme der Wattflächen zu Lasten von Vorland und Flachwasserbereichen. In der Natur verändern vor allem Sedimentations- und Erosionsvorgänge die Flächengröße dieser Lebensraumtypen. Alle drei Lebensraumtypen sind charakteristisch für die Elbe und hochwertig.


(b) auf andere Schutzgüter wie z.B. das UNESCO-Weltkulturerbe Speicherstadt?

Die Auswirkungen des Tidenhubs werden im Rahmen des behördenübergreifenden Projekts zum „Entwicklungskonzept Speicherstadt“ berücksichtigt. Im Übrigen sind die konkreten Planungen und Überlegungen hierzu noch nicht abgeschlossen.


4. Welche Auswirkungen hat der gestiegene Tidenhub auf das „tidal pumping“?

Der langfristige Tidenhub ist lediglich einer von mehreren Faktoren, die sich auf das „tidal pumping“ auswirken. Ein Anstieg des Tidenhubs könnte dabei tendenziell eine Zunahme des „tidal pumpings“ zur Folge haben.


5. Welche Auswirkungen hat der Anstieg des Tidenhubs von 2011 bis heute auf die Unterhaltungsbaggerungen?

Der Anstieg des Tidenhubs kann eine Zunahme der Sedimentation im Hamburger Bereich und damit der Unterhaltungsbaggerungen zur Folge haben.


6. Welche Entwicklung des Tidenhubs erwartet der Senat in den kommenden zehn Jahren?

Der Tidenhub ist das Resultat vielfältiger, komplexer, natürlicher und damit nicht beeinflussbarer Randbedingungen, die sich nicht vorhersagen lassen.


7. Welche Auswirkungen wird der prognostizierte Tidenhub in den kommenden zehn Jahren auf die Unterhaltungsbaggerungen haben?

Siehe Antwort zu 6.

8. Von welchen jährlichen Kosten für diese zukünftig notwendig werdende Unterhaltungsbaggerung geht der Senat aus?

Die Kosten für die Unterhaltungsbaggerungen sind von einer Vielzahl von Randbedingungen (z.B. Mengen, Transportentfernungen u.v.m.) abhängig, die sich nicht langfristig vorhersagen lassen.