SKA: Pestizideinsatz in der FHH

Stephan Jersch

Angeblich setzt sich Hamburgs Landesregierung engagiert für die Eindämmung des Totspritzens von unerwünschten Mitbewohnern ein, seien es Pflanzen, seien es Tiere. Insbesondere das wahrscheinlich krebserzeugende Glyphosat will der Senat eindämmen. Allerdings wuchs die Fläche, für die in Hamburg in den letzten beiden Jahren Ausnahmegenehmigungen für das Ausbringen von Glyphosat erteilt wurden, wieder und so kehrt sich der Abwärtstrend bei diesem gefährlichen Gift um. Also, außer Willensbekundungen nichts gewesen?

18. Januar 2019

 Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 10.01.2019
und Antwort des Senats
- Drucksache 21/15731-

 

Betr.:    Pestizideinsatz in der FHH

Wer Probleme mit so genanntem Unkraut im Garten hat, wird schon auf den Gedanken gekommen sein, ein Herbizid (ein auf Pflanzen wirkendes Pestizid)  einzusetzen; vielleicht ohne sich Gedanken gemacht zu haben, das rund zwei Drittel der Pflanzen, die zur Ernährung der Menschheit dienen, darauf angewiesen sind, von Insekten bestäubt zu werden.

Siedlungsgebiete sind oft die letzten Rückzugsgebiete für bedrohte Arten, die in der Agrarlandschaft keinen Lebensraum mehr finden, da die intensive Landwirtschaft die gewohnten Lebensräume nicht mehr bietet, weil Monokulturen dominieren, die fleißig mit Pestiziden bespritzt werden, um die Hektarerträge zu steigern. So geht es auch Insekten.

In den Drucksachen 21/ 12078 &12410 sowie letztmalig in 14438 vom 02.10.18 fragte ich den Senat zum Sachstand  der Anwendung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in unserer Stadt, hatte doch Hamburgs Senat u.a. mitgeteilt, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass der Einsatz des Wirkstoffes Glyphosat deutlich eingeschränkt wird, mit dem Ziel, die Anwendung grundsätzlich zu beenden.

Aber Glyphosat, ein umstrittener Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln (PSM) zur Unkrautbekämpfung und zur Sikkation (Vorerntebehandlung) ist nur ein Pestizid unter vielen, die zumindest potentiell weiterhin u.a. die Hamburgerinnen und Hamburger sowie die Insekten belasten.

In Deutschland haben lt. Zeitungsberichten rund 460 Städte und Gemeinden entschieden, ihre Grünflächen ganz ohne Pestizide zu bewirtschaften oder mindestens ohne das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat auszukommen. Einige tun dies bereits seit mehr als 20 Jahren. Doch noch immer werden in der Bundesrepublik über 40 000 Tonnen Pestizide pro Jahr ausgebracht und belasten die Umwelt. Die Tendenz sei sogar steigend. (Vgl. u.a.: www.neues-deutschland.de/artikel/1108040.insektensterben-stadt-ohne-pestizide.html).
 

Die zuständigen Behörden setzen sich seit Jahren für eine Minderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ein und verfolgen damit einen generellen Ansatz statt der Fokussierung auf einzelne Pflanzenschutzmittel.
Der Senat verzichtet grundsätzlich auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Grünflächenpflege. Ausnahmen sind auf Einzelfälle beschränkt, u.a. in denen die Verkehrssicherheit auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann oder eine mechanische Bearbeitung die Flächen zerstören würden. Diese Pflanzenschutzmittelanwendung muss, wenn es sich um Nichtkulturlandflächen handelt, von der zuständigen Behörde genehmigt werden. Nichtkulturlandflächen sind alle Flächen, die nicht landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt werden.

Hamburg hat im Rahmen der Agrarministerkonferenz am 29. September 2017 erfolgreich einen Antrag mit der Forderung nach einer neuen „Gemeinsamen Strategie Pflanzenschutz“ eingebracht. Diese Strategie für den Bereich Pflanzenschutz fordert u.a. eine Intensivierung der Forschung für alternative Verfahren und die Entwicklung eines neuen Umgangs mit Pflanzenschutzmitteln zum Schutze der Biodiversität mit dem Ziel langfristig Pflanzenschutzmittel durch nichtchemische Verfahren zu ersetzen. Erste Umsetzungsschritte auf Bundesebene sind erfolgt u.a. die Ausweitung der Forschung zur Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.

Der Senat hat sich im Jahr 2014 im Agrarpolitischen Konzept 2020 (APK 2020) (Drs. 20/11525) auf Ziele zur Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes verständigt. So wurde u.a. im APK 2020 eine signifikante Flächensteigerung des ökologischen Anbaus festgelegt und die Förderung nichtchemischer Pflanzenschutzmaßnahmen. Der Umstieg auf eine ökologische Anbauweise bedingt einen Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, da diese ausnahmslos im ökologischen Landbau verboten sind. Deswegen fördert die zuständige Behörde u.a. den ökologischen Anbau und setzt die dortigen Ziele u.a. durch den Hamburger Öko-Aktionsplan (Drs. 21/8068) und das „Konzept für angewandte Forschung in der Agrarwirtschaft“ (Drs. 21/10373) um.

Im Rahmen dieses Forschungskonzeptes fördert die zuständige Behörde Forschungs- und Beratungsprojekte des Pflanzenschutzdienstes am Kompetenzzentrum für Gartenbau und Landwirtschaft Brennerhof u.a. den wirtschaftlich vertretbaren Ersatz von Pflanzenschutzmitteln durch nichtchemische Mittel und die Weiterentwicklung von ökologischen Verfahren im Pflanzenschutz.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

1. Zulassungsregelungen und Risikoabschätzungsverfahren von Pestiziden, darunter auch Glyphosat, werden u.a. auch in der Wissenschaft als unzureichend eingeschätzt, da die dabei eingesetzten Modelle nicht alle ökologischen Wirkszenarien im Freiland abbilden und entscheidende Indikatoren wie indirekte Effekte, multiple Stressfaktoren oder die Interaktion verschiedener Stoffe nicht bzw. nur wenig berücksichtigen.

Wird der Senat der FHH, sich für restriktivere Maßnahmen im Bereich der Pestizidaufbringung nicht nur auf Nichtkulturland einsetzen und welche Ziele verfolgt er ggfs.?

Siehe Vorbemerkung.


2. In Drs. 21/ 14438 teilte der Senat mit, dass die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf Nichtkulturland, anders als auf landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzten Flächen, von der zuständigen Behörde genehmigt werden müsse. Daher erfolgt dann wohl auch eine umfassende Datenerfassung.

a. Welche Herbizide und anderen Pestizide werden in der Stadt eingesetzt?
b. Falls a. nicht beantwortbar: Welche Herbizide und anderen Pestizide werden in der Stadt bzw. durch die Stadt beauftragte Firmen über Glyphosat hinaus eingesetzt??

Pflanzenschutzmittel dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie über eine entsprechende Zulassung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verfügen. Mit der Zulassung werden bestimmte Anwendungsbereiche und -bestimmungen sowie Kulturen und Auflagen festgelegt.
Folgende Herbizide wurden auf Antrag im Jahr 2018 genehmigt: Chikara, Detia Total-Neu Unkrautfrei, Finalsan, Finalsan AF UnkrautFrei Plus, Finalsan Plus, Garlon, Glyfos – Dakar, Glyfos Supreme, Glyfos TF Classic, Katana, Keeper Unkrautfrei, Nozomi, Pistol Flex, Purgarol, RA 3000 – Flüssig, RA 50, Ranger, Roundup Powerflex, Roundup Ultra, Simplex, Tender GB Ultra, U 46 M Fluid, Vorox F und Vorox Unkrautfrei Express. Es wurden keine anderen Pflanzenschutzmittel, die nicht der Kategorie Herbizide zuzuordnen sind, genehmigt.


3. Wie groß sind die davon betroffenen Flächen?

Die im Rahmen der Antragsstellung für das Jahr 2018 angegebenen Flächen haben eine Größe von insgesamt 263 ha.

 
4. Wie hat sich ggfs. der Einsatz in den letzten fünf Jahren (mengen- und flächenmäßig) geändert?

Im Jahr 2014 wurden 9 kg und 2.496 l ausgebracht. Im Jahr 2015 wurden 25 kg und 1.843 l ausgebracht. Seit dem Jahr 2016 erfolgt aufgrund der geringen Aussagekraft der Aufwandsmenge keine Abfrage mehr.

Im Jahr 2014 betrug der Flächenumfang 391 ha, 266 ha im Jahr 2015, 131 ha im Jahr 2016 und 220 ha im Jahr 2017.


5. Welche vertraglichen Vereinbarungen gibt es im Rahmen der Ausschreibung zur Grünflächenpflege durch beauftragte Firmen für den Einsatz von Herbiziden und anderen Pestiziden?

Im Rahmen der Vergabe der Grünflächenpflege gibt es keine vertraglichen Vereinbarungen für den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist durch das Pflanzenschutzgesetz geregelt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.


6. In Drs. 21/ 14438 wurde mitgeteilt,  für Nichtkulturland wurden im Jahr 2018 insgesamt 32 Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten, erteilt. Die in den Anträgen angegebenen Flächengrößen umfassten etwa 145 ha.

Gibt es nach dem 31. Oktober 2018 auch für das Jahr 2019 Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz? Wenn ja, bitte mit Anzahl, Flächengröße und Dauer der Genehmigung aufführen.

Nein.


7. Die durch Initiative Thüringens und Bremens zustande gekommene Bundesrat-Entschließung 740/17 zu einem restriktiveren Umgang mit Glyphosat wurde  im Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz am 9. April 2018 behandelt und laut Antwort des Senates in 21/14438  bis zum Wiederaufruf vertagt.

a. Erfolgte zwischenzeitlich eine Befassung im Bundesrat?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis und welche Folgen hat der Bundesratsent-scheid ggfs. für Hamburg?

b. Wenn nein, warum nicht ?

Keines der antragsstellenden Länder hat bisher die Vorlage wiederaufgerufen, daher erfolgte keine Befassung. Der Bundesrat hat am 27. April 2018 zum Thema Glyphosat mit der Drucksache Nr. 107/18 zur Mitteilung der Kommission über die Europäische Bürgerinitiative „Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden“ Stellung genommen. Inhalt ist u.a. die Forderung nach einer höheren Transparenz im Bewertungsverfahren der Europäischen Union, die Aussage den Einsatz von Glyphosat deutlich einzuschränken mit dem Ziel diesen grundsätzlich zu beenden und dass glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel auf Flächen öffentlicher Einrichtungen nicht mehr angewendet werden dürfen. Die Drucksache ist damit weitergehender als die Drucksache Nr. 740/17.


8. Hat sich der Senat oder seine Fachbehörden mittlerweile inhaltlich mit der Forderung, die Verwendung von Glyphosat insbesondere im Haus- und Kleingartenbereich, in öffentlichen Einrichtungen,  auf Grünflächen und bei der Vorerntebehandlung zu verbieten, solange negative Effekte auf Gesundheit, Biodiversität, Wasserorganismen und Bodenlebewesen nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden können, beschäftigt?

Ja, im Rahmen der in der Antwort zu 7.b genannten Stellungnahme des Bundesrates, der Hamburg zugestimmt hat.