SKA: Energiepark Hafen: Risiko für den Rückkauf des Fernwärmesystems?

Stephan Jersch

Energiepark Hafen: Risiko für den Rückkauf des Fernwärmesystems?

24. Januar 2020

 Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 16.01.2019
und Antwort des Senats
- Drucksache 21/19762 -

Betr.:    Energiepark Hafen: Risiko für den Rückkauf des Fernwärmesystems?

Laut Protokoll der Sitzung des Umweltausschusses der Bürgerschaft am 3. Dezember 2019 (Ausschussprotokoll Nr. 21/53) erklärte Senator Kerstan im Zusammenhang mit der Entscheidung des Senats für die „Südlösung“ für den Ersatz des Heizkraftwerks Wedel:

„(…), das sind die Punkte, warum wir uns entschieden haben, die Südlösung zu propagieren. Das ist ja auch etwas, wo wir eine Genehmigung bei der  EU-Kommission eingeholt haben. Sollten wir jetzt zu dem Schluss kommen, dass man dieses Konzept, wie das ja manche Anwohner entlang der Trasse sich wünschen, noch einmal komplett überarbeiten sollten, dann wäre auch die Genehmigung der EU hinfällig und damit auch der Kauf der Fernwärme durchaus gefährdet oder würde noch einmal überprüft werden, (…) nur mit der Einschätzung, das ist keine Beihilfe, hat die EU-Kommission ja auch die Einwilligung gegeben, dass Hamburg den Kauf vollziehen kann. Also insofern ist das eine Entscheidung, die wir gründlich vorbereitet haben, aus guten Gründen uns für diese Variante entschieden haben, aber jetzt eben auch uns bereits in der Umsetzung befinden, sodass es auch gar keine Möglichkeit mehr gibt, dieses Konzept grundsätzlich zu ändern, ohne vergangene Entscheidungen auch wieder einem Risiko auszusetzen, was wir nicht vorhaben.“

Bei der Überprüfung durch die EU-Kommission, ob es sich beim Rückkauf um eine unzulässige Subvention handelt, stand das Gutachten von LBD „Unternehmenskonzept und Businessplan“ vom 4.10.2018 im Brennpunkt (European Commission, Reacquisition of the Hamburg District Heating Network. 15.4.2019).
Dieses Gutachten von LBD ist im Transparenzportal zu finden. Ein in der Stellungnahme der EU-Kommission unter Randnummer (12) aufgeführter zusätzlicher Report von LBD vom Dezember 2018 in Reaktion auf eine Kritik am ersten LBD-Gutachten von PwC scheint im Transparenzportal nicht vorhanden zu sein.
Im Gutachten von LBD vom 4.10.2018 wird auf Seite 44 für die Businessplanung zur Fernwärmetrasse Elbquerung von 100 Millionen Euro abzüglich einer Förderung gemäß KWKG in Höhe von 20 Millionen Euro ausgegangen. Auf Seite 16 werden 116 Millionen Euro für die Elbquerung und Anschlussleitungen des Zentrums für Ressourcen und Energie sowie der MVR angegeben.

In Tabelle 3, Seite 44, des LBD-Gutachtens sind die „Änderungen im Erzeugungskonzept bis 2030“ aufgelistet. Hinsichtlich des Ersatzes für das Heizkraftwerk Wedel werden als Investition aufgeführt: „Ersatz, Erdgas-KWK“ mit einer Leistung von 146 MWth, „Wärmepumpe Dradenau mit Motorenantrieb“ mit 33 MWth und „Aquifer + Wärmepumpe“ mit 33 MWth. Keine Investitionskosten werden aufgeführt für „MVR Rugenberger Damm“ mit 40 MWth, für „Industrieabwärme“ mit 18 MWth und für „Power-to-Heat“.

Auf Seite 42 werden für die Verlängerung der Nutzungsdauer des HKW Wedel 25 Millionen Euro angesetzt.
Die Investitionskosten in Tabelle 3 sind geschwärzt. Die angesetzten Investitionskosten im Businessplan von LBD können jedoch den Angaben im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft entnommen werden.

Im Haushaltsausschuss gab Staatsrat Pollmann auf Fragen des Ausschussvorsitzenden als Investitionskosten an „für die vorgesehene Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, das Gaskraftwerk auf der Dradenau 150 Millionen Euro, die Wärmepumpe bei 27 Millionen Euro, der Aquiferspeicher etwa 27 Millionen Euro“ (vergleiche Ausschussprotokoll Nr. 21/50). In Verbindung mit 116 Millionen Euro für Leitungen ergeben sich also Investitionskosten von insgesamt 320 Millionen Euro für den Wedel-Ersatz.

Unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Rückkaufs des Fernwärmenetzes am 2.9.2019 wurden am 14.9.2019 neue, sehr viel höhere Investitionskostenplanungen bekannt gegeben, beispielsweise in https://www.hamburg.de/contentblob/12957152/7374b07373873dce6dd7af51f012383c/data/d-waermewende.pdf, und vom Geschäftsführer der Wärme Hamburg GmbH, Dr. Beckereit, am 24.10.2019 im Energienetzbeirat. Danach belaufen sich die nunmehr geplanten Investitionskosten für den Energiepark Hafen „Stand jetzt“ auf circa 750 Millionen Euro. Gegenüber den Angaben im Haushaltsausschuss und vermutlich auch im Gutachten von LBD haben sich die Investitionskosten also um einen Faktor 2,34 beziehungsweise um 430 Millionen Euro erhöht. Ähnlich verhält es sich mit den „zusätzlichen Erhaltungs-Investitionen“ für die Weiternutzung des HKW Wedel, die von 25 Millionen Euro auf circa 60 Millionen Euro angewachsen sind.

Dass die zu erwartenden Betriebskosten infolge der gestiegenen Investitions-kosten sinken würden, ist nicht zu erwarten. Denn soeben hat ein „Zweiter Bericht“ der Arbeitsgruppe „Ersatz des Heizkraftwerks Wedel“ des Energienetzbeirats moniert, dass die Wärmegestehungskosten aus den Abwasser-Wärmepumpen im Klärwerk Dradenau etwa 70 Prozent höher sind als die Wärmegestehungskosten aus einem neuen Erdgas-Heizwerk und zudem diese Wärme nicht als klimafreundlich eingestuft werden kann, da der Antrieb der Wärmepumpen mit fossilem Strom erfolgen soll.

Bei der gleichen Sitzung des Energienetzbeirats hat Dr. Beckereit hinsichtlich der „Südleitung“ mitgeteilt, noch rechne sich die Leitung nicht. Hamburg Wärme bitte die Industrie, ob noch etwas Abwärme geliefert werden könne.

Wesentlich günstiger sieht es bezüglich Investitionskosten und Betriebskosten bei der Alternative Nordvariante im Stellinger Moor aus, deren Prüfung der Energienetzbeirat der Umweltbehörde am 29.11.2018 unter Rückgriff auf die Ergebnisse des Beratungsbüros BET im Jahr 2015 empfohlen hat. Der Empfehlung von BET auf Nutzung von Biomasse folgend könnten für eine Anlage zur Verwertung von zusätzlichem Altholz nach der aktuellen Bewertung durch die Arbeitsgruppe des ENB sehr niedrige Wärmegestehungskosten erzielt werden. Unter anderem wegen des Entfallens der enorm hohen Leitungskosten des „Energieparks Hafen“ und wegen niedrigerer Betriebskosten dürfte daher bei der Nordvariante im Stellinger Moor kein Problem hinsichtlich der Genehmigung der EU-Kommission bestehen – im Gegensatz zur Südvariante mit ihrem hohen Kostenanstieg über die bei der EU-Kommission eingereichten Investitionskosten hinaus.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

Bei den in der Einleitung genannten Beträgen aus dem LBD-Gutachten und auch aus der erwähnten Präsentation handelt es sich nicht um Investitionskosten, sondern um Kostenschätzungen anlässlich eines bestimmten Projektplanungsstandes. Kostenschätzungen werden jeweils dem Planungsfortschritt angepasst. Entscheidend werden die realen Kosten nach den Ausschreibungen sein. Nach den Planungen der Wärme Hamburg GmbH (WH) ist die Investitionskostenschätzung relevant, die im Ausschuss für Öffentliche Unternehmen sowie im Umweltausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft vorgestellt wurde.
Entgegen der in der Einleitung gemachten Aussage hat der technische Geschäftsführer der WH, Herr Dr. Beckereit, in der Sitzung des Energienetzbeirats am 24. Oktober 2019 keine Aussage hinsichtlich einer mangelnden Rentabilität der „Südleitung“ getätigt.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der WH und der Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (HGV) wie folgt:

1.    Wurde der LBD-Report vom Dezember 2018, der von der EU-Kommission am 15.4.2019 in Randnummer (12) genannt wird, öffentlich zugänglich gemacht?
Wenn ja, wo?
2.    Falls dieser LBD-Report vom Dezember 2018 nicht öffentlich zugänglich gemacht werden soll: mit welcher Begründung?

Die HGV hat als nicht nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz veröffentlichungspflichtiges Unternehmen die betreffende Unterlage nicht öffentlich zugänglich gemacht.

3.    Um welchen Betrag sind die Investitionskosten für den Ersatz des HKW Wedel im Vergleich zu den im LBD-Gutachten eingesetzten Werten  gestiegen?
4.    Aus welchen einzeln aufgezählten und erläuterten Gründen sind die Investitionskosten für den Ersatz des HKW Wedel um diesen Betrag  gestiegen?
5.    Welche Vorteile ergeben sich aus den erhöhten Investitionskosten?

Die Kostenschätzungen aus dem LBD-Gutachten vom 4. Oktober 2018 und die Kostenschätzungen aus der Präsentation vom 13. September 2019 sind nicht unmittelbar vergleichbar. In den genannten 750.000.000 Euro sind Kostenschätzungen enthalten, die Kooperationen mit öffentlichen Unternehmen und der Industrie betreffen und nicht direkt durch die WH zu tragen sind. Dazu zählen die Industrielle Abwärme, Anlagentechnik in der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) und dem Zentrum für Ressourcen und Energie Stellingen (ZRE). Die Investitionen in eigene Anlagen, das Gas- und Dampf-Heizkraftwerk inklusive Power-to-Heat und Kurzzeit-Wärmespeicher und die Südleitung sowie die Anbindung der MVR und des ZRE werden auf 550.000.000 Euro geschätzt.
Die 750.000.000 Euro stellen die Gesamtkostenschätzung für den Ersatz des HKW Wedel auf heutiger Preisbasis einschließlich Preissteigerungen, Baukostensteigerungen und Reserven dar. Sie orientieren sich an der Richtlinie Kostenstabiles Bauen.
Das Ersatzkonzept Wedel hat sich seit Gutachtenerstellung durch LBD im Jahre 2018 weiterentwickelt. Die Veränderungen betreffen hauptsächlich die Anlagenparameter des Gas- und Dampf-Heizkraftwerks (GUD) und das Konzept zur Einbindung der Dritteinspeiser. Das GUD ist nach der technisch-wirtschaftlichen Optimierung nun deutlich größer und die Investitionen zur Einbindung der industriellen Abwärme sollen mittlerweile direkt von der WH getragen werden. Im Ursprungskonzept wurde wegen hoher Unsicherheit im Regulierungsrahmen und noch in Klärung befindlicher Parameter der Wärmelieferung von Dritteinspeisern eine vergleichsweise kleine Anlagenkonfiguration verwendet und die Kosten auf Basis von marktüblichen Benchmarks geschätzt.
Die Erhöhung der Anlagenleistung und die daraus resultierende höhere Förderung aus dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz verbessern die Wirtschaftlichkeit. Die Anlage ist insgesamt robuster, auch bei einer möglichen Veränderung der KWK-Vergütung im Zuge des Kohleausstiegs. Die KWK-Anlage ist nun besser in der Lage die Dritteinspeiser in das Fernwärmesystem zu integrieren und weist hinsichtlich des Wachstums der Fernwärme und der weiteren Einbindung von klimaneutralen Wärmequellen mehr Flexibilität auf.

6.    Welcher Unternehmenswert aus Käuferperspektive der Wärme Hamburg GmbH ergibt sich bei Berechnungen nach der Methodik des LBD-Gutachtens mit den jetzigen Investitionskosten?
Für den Jahresabschluss der HGV zum 31. Dezember 2019 wird es eine aktuelle Unternehmensbewertung der WHH-Beteiligung (Impairment Test) nach IdW Standard geben. Der Jahresabschluss der HGV wird voraussichtlich im August 2020 vorliegen.


7.    Kann nach Unterzeichnung des Kaufvertrags und Zahlung des Kaufpreises an Vattenfall am 2. September 2019 der Fernwärmerückkauf noch rückgängig gemacht werden, wie es in der Erklärung von Senator Kerstan unterstellt wird?
8.    Wie hoch ist nach Auffassung des Senats und unter Berücksichtigung der in der Einleitung aufgeführten Erklärungen von Senator Kerstan die Gefahr, dass durch die starke Kostenerhöhung des „Energieparks  Hafen“ die Genehmigung der EU hinfällig und damit auch der Kauf der Fernwärme durchaus gefährdet wird?
Es sind zwar theoretische Konstellationen denkbar, in denen aus (EU-) rechtlichen Gründen der Fernwärmerückkauf nach Vollzug möglicherweise rückgängig gemacht werden müsste. Anhaltspunkte dafür liegen den zuständigen Behörden jedoch nicht vor.

9.    Welche Auffassung vertritt der Senat zur Frage, ob nicht infolge des starken Kostenanstiegs beim „Energiepark Hafen“ umgehend der Empfehlung des Energiebeirats an die BUE vom 29.11.2018 Folge geleistet werden sollte und eine Nordvariante im Stellinger Moor ergebnisoffen geprüft werden sollte, um damit einem Hinfälligwerden der Genehmigung der EU vorzubeugen?
Die zuständige Behörde ist der Auffassung, dass der Energiepark Hafen in Verbindung mit dem Zentrum für Ressourcen und Energie im Stellinger Moor wirtschaftlich und nachhaltig die beste Option zum Ersatz des HKW Wedel darstellt. Vor allem die strategische Erschließung weiterer klimaneutraler Wärmequellen im Süden durch die Elbquerung stellt für die langfristige Dekarbonisierung und Expansion der Fernwärme im Zuge der ersten Fortschreibung des Hamburger Klimaplans einen wichtigen Schritt dar. Insofern wird der Empfehlung des Energienetzbeirats nicht gefolgt.