Tourismus: Mehr Gerechtigkeit in der Corona-Krise - Sechs tourismuspolitische Forderungen

(Berlin, 19.6.2020) Die Bundesregierung will im Konjunkturpaket auch die Reisebranche unterstützen. Aus Sicht der tourismuspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Linksfraktionen in den Landesparlamenten und im Bundestag greifen die geplanten Hilfen zu kurz. Nachdem die Bundesregierung den großen Tourismuskonzernen schnell geholfen hat, müssen nun auch bei den kleinen Unternehmen schnell und unbürokratisch verfügbare Hilfen ankommen. Konkret wird ein steuerfinanzierter Unterstützungsfonds für kleine und mittlere Unternehmen gefordert. Generell müssen staatliche Leistungen an die Einhaltung sozialer Standards gebunden werden. Eine Schleifung des Verbraucherschutzes kommt nicht infrage, eine verpflichtende Gutscheinlösung wird abgelehnt. DIE LINKE fordert einen 500-Euro-Reisegutschein für bedürftige Familien. Besondere Unterstützung sollen gemeinnützige Einrichtungen wie Jugendherbergen erhalten. Diese Strukturen dürfen nicht der Krise zum Opfer fallen. Die Stellungnahme im vollen Wortlaut...

 

Die Corona-Krise stellt besonders die Tourismusbranche vor enorme Herausforderungen. Viele Unternehmen im Fremdenverkehr stehen vor der Insolvenz, die Angestellten sind in Kurzarbeit, Soloselbständige müssen ohne Einkommen leben, Reisende warten vergeblich auf die Rückzahlung ihres bezahlten Reisepreises. Trotz Kurzarbeit mussten Reiseveranstalter geplante Reisen rückabwickeln, das heißt Kundengelder erstatten und Ausfallkosten an Airlines, Hotels usw. zahlen. Reisebüros haben bei der Rückabwicklung unterstützt mit dem Ergebnis, dass Provisionen nicht gezahlt werden.

Bund und Länder haben generell schnell gehandelt: Für viele Branchen gibt es Direkthilfen, umfangreiche Kreditprogramme, staatliche Bürgschaften und Rettungspläne. Die soziale Absicherung von Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit wurde verstärkt.

Aber gerade im Bereich des Tourismus gibt es immer noch viel zu tun. Denn mehr und mehr haben die dort Beschäftigten den Eindruck, dass es besonders die großen Unternehmen sind, die mit großzügigen Staatsgeldern gerettet werden sollen ohne dabei Garantien für z.B. Erhalt der Arbeitsplätze abgeben zu müssen. Mehr noch entzieht sich Lufthansa der Staatsbeteiligung. Doch die Corona-Krise darf nicht zulasten der Schwachen gehen. In Summe sind dort weitaus mehr Menschen beschäftigt als bei Lufthansa und TUI.

Wir linken Tourismuspolitiker*innen wollen uns nicht vorstellen, wie unsere Regionen ohne oder mit erheblich weniger Touristik- und Freizeitbetrieben aussieht. Die Tourismusbranche ist schön längst mehr als der Jahresurlaub. Sie stellt einen Teil der Struktur, die wir an Wochenende mit Familien nutzen, sie engagiert sich im Bereich der Nachhaltigkeit, des Artenerhalts, sie springt in weniger dicht besiedelten Gebieten nicht selten ein, wenn Buslinien von den kommunalen Verkehrsanbietern nicht mehr bedient werden können - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Reisen ist Bildung. Nicht zuletzt kämpfen auch viele diese Unternehmen mit darum, dass wir eine weltoffene Gesellschaft bleiben.

Wir linke Tourismuspolitikerinnen und Tourismuspolitiker fordern mehr soziale Gerechtigkeit bei der Krisenbewältigung.

1. Forderung: Steuergelder müssen bei den kleinen Unternehmen ankommen.
Die Bundesregierung hat schnell Schritte zur Rettung von angeschlagenen Großkonzernen unternommen, zum Beispiel bei Lufthansa (9 Milliarden Euro), Condor (550 Millionen Euro) oder TUI (1,8 Milliarden Euro). Doch die kleinen Reisebüros müssen immer noch auf Unterstützung hoffen. Lediglich Überbrückungshilfen für Betriebskosten wurden im Rahmen des Konjunkturpakets in Aussicht gestellt. Doch das drängende Liquiditätsproblem der kleinen Betriebe für die Rückzahlung von Provisionen und Kundengeldern bleibt. Auch bei den kleinen Reiseveranstaltern geht es um Arbeitsplätze und Existenzen.

Wir fordern einen steuerfinanzierten Fonds für kleine und mittelständische Unternehmen, der später von den Betrieben wieder aufgefüllt wird. Außerdem müssen Unterstützungsleistungen an die Einhaltung sozialer Standards gekoppelt sein, z.B. Sicherung von Arbeitsplätzen. Gute Arbeit ist auch in der Krise möglich!

2. Forderung: Subventionen an Arbeitsplatzerhalt knüpfen
Werden Kapitalgesellschaften im Tourismussektor unterstützt, dann müssen die staatlichen Hilfen an Bedingungen geknüpft sein. Dazu gehören der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und Stellenabbau, das Erreichen verbindlicher ökologischer Ziele und der Verzicht auf die Ausschüttung von Dividenden. Forderungen nach einer Aufweichung oder gar Abschaffung des Mindestlohns und des Arbeitszeitgesetzes im Tourismus und der Gastronomie lehnen wir entschieden ab.

Dass es Lufthansa gelungen ist, die staatliche Beteiligung zu verhindern, halten wir für falsch.

3. Forderung: Der Verbraucherschutz muss ausgeweitet werden
Die Bundesregierung hat schon sehr früh in der Krise versucht, den Verbraucherschutz zu schleifen. Anstatt die Rückzahlung von angezahlten oder bezahlten Reisen weiterhin zu ermöglichen, sollten die Kundinnen und Kunden zu Gutscheinen gezwungen werden. Erst die EU-Kommission hat diesen Versuch einer kalten Enteignung gestoppt. Nun wird es Gutscheine auf freiwilliger Basis geben.
Die Bundesregierung hat endlich eingesehen, dass die bisherigen Regelungen zum Schutz der Kundschaft vor Insolvenz des Reiseunternehmens viel zu kurz greifen. Die Koalition aus SPD und CDU/CSU hatte die europäische Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zu verbraucherfeindlich in deutsches Recht übertragen. Jetzt wird zwar nachgebessert, doch für die aktuelle Krise wird die neue Regelung zu spät kommen. Einige Unternehmen mussten schon aufgeben.

Wir fordern, dass Kundinnen und Kunden besser geschützt sein müssen. Viele warten immer noch auf die Rückzahlung der ihnen zustehenden Gelder. Hier muss der Bund einspringen. Genauso muss der Bund dort einspringen, wo Menschen versucht haben, mit Gutscheinen ihrem Reisebüro zu helfen, dieses aber nicht überlebt hat.

4. Forderung: Reisegutscheine für bedürftige Familien ...
im Wert von 500 Euro pro Kind zum Einlösen für Kinder- und Jugendreisen oder Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen im Inland.
Viele Reiseveranstalter und (gemeinnützige) Vereine - gerade im Segment Kinder- und Jugendreisen - haben keine Umsätze mehr. Klassenfahrten und Kinderferienlager sind abgesagt. Freizeiteinrichtungen sind teilweise noch geschlossen. Außerdem haben viele Familien weniger Einkommen als vor der Krise. Urlaubsreisen werden sich viele Familien in diesem und vielleicht auch in den kommenden Jahren nicht leisten können.

Schon vor Corona konnten viele Kinder und Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht an Ferienfreizeiten teilnehmen. Viele verreisen sogar nie: 24 % aller unter 18jährigen in Deutschland sind zu arm für eine Urlaubsreise. Bereits heute gibt es in 9 Bundesländern schon Zuschüsse für Urlaub in gemeinnützigen Familienferienstätten für finanziell benachteiligte Familien. Aber in dieser existenziellen Krise
für Familien und Veranstalter reicht das nicht: der Bund muss einspringen.

Wir fordern einen Reisegutschein von 500 Euro für jedes Kind aus bedürftigen Familien, der für Kinder- oder Jugendreisen oder für den Besuch von Freizeiteinrichtungen in Deutschland verwendet werden kann.
Das hilft Familien und den Veranstaltern von Kinder- und Jugendreisen. In dieser Krise brauchen wir schöne Ferien für alle Kinder!

5. Jugendherbergen und Unterkünfte für Klassen-, Bildungs- und Familienreisen erhalten
Wir fordern Bund und Länder gleichermaßen auf, das flächendeckende Netz an Jugendherbergen und Unterkünften für Klassen-, Bildungs- und Familienreisen zu erhalten. Wir beobachten mit Sorge, dass der Jugendherbergsverband etliche seiner Einrichtungen im Sommer nicht öffnen wird. Ähnliches gilt für Unterkünfte, die nicht im Verband organisiert sind, aber ähnliche Angebote gestalten. Diese Einrichtungen sind Orte der Begegnung, der Bildung und nicht zuletzt auch Urlaubsziel für Menschen mit weniger Einkommen. Angebote dieser Art dürfen der Krise nicht zum Opfer fallen, sondern müssen ausfinanziert werden.

6. Auch zukünftig Recht auf Erholung sicherstellen
Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte sichert das Recht auf Erholung und Freizeit. Wir beobachten mit Sorge, dass sich die Berufswelt immer weiter effektiviert und rationalisiert, dass Privates und Beruf verschwimmen. Die Corona-Pandemie hat Digitalisierung im Berufsalltag Vorschub geleistet. Andererseits sehen wir, wie viele Freizeit- und Tourismusbetriebe gerade am Abgrund stehen.
Zukünftig wird, das ‚Raus aus den eigenen vier Wänden’, mal etwas anderes sehen, den Urlaub nicht in der eigenen Wohnung verbringen zu müssen an Bedeutung gewinnen. Wir haben jetzt politisch die Aufgabe, sicherzustellen, dass die dafür nötigen Voraussetzungen erhalten bleiben.