Hamburg muss bis 2035 klimaneutral sein, und zwar ohne Finanzierungsvorbehalt

Stephan Jersch

104. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 11. September 2019 - Der Klimanotstand ist real - verstärkte Klimamaßnahmen ergreifen - Antrag der Fraktion DIE LINKE

 

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Stephan Jersch DIE LINKE: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir ha­ben heute in der Aktuellen Stunde schon reichhaltig über Klima und diverse Auswirkungen geredet. Nichtsdestotrotz denke ich - vielleicht in diesem Hause noch nicht ganz angekommen - , Klima ist so umfangreich, da hat man auch noch das Poten­zial dafür, etwas mehr darüber zu reden. Deswegen hier noch einmal etwas zu unserem Antrag zum Kli­manotstand.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Ham­burg mit dem bestehenden Klimaplan ein Ziel: 2030 eine C 0 2-Reduktion von 50 Prozent,

 

(Vizepräsidentin Christiane Schneider über­nimmt den Vorsitz.)

2050 von mindestens 80 Prozent. Wir wissen, dass die Zahlen der Verursacherbilanz weit von diesem Pfad entfernt sind, und dennoch kam die Nachricht, dass die 2030er-Zahlen auf eine Reduktion um 55 Prozent erhöht werden.

(Glocke)

Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend): Was wir aber hier sehen, sind die bereits erwähn­ten Schonbereiche in der Hamburger Politik, an die ungern irgendjemand aus der Regierungskoalition herangehen möchte. Es ist verständlich; die Eman­zipation von Olaf Scholz ist anscheinend ein lang­wieriger Prozess, insbesondere in der SPD.

Das jahrzehntelange Ungleichgewicht, das wir in den Nachhaltigkeitssäulen Ökonomie, Ökologie und der sozialen Säule sehen, hat erhebliche Folgen gehabt - bisher schon, und es wird sie auch noch weiter haben. Die Frage steht für uns im Raum:
Brauchen wir eine andere Strukturierung dieser Säulen, eine andere Bewertung dieser Säulen nach der jahrzehntelangen Bevorzugung der ökonomi­schen Säule? Und müssen wir Ökologie und Sozia­les nicht viel stärker fördern? Beides ist ins Hinter­treffen geraten, und die gesellschaftlichen Kosten, die eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Öko­nomie verursacht hat, sind durch uns, durch die Gesellschaft, nicht länger tragbar. Hier muss ge­handelt werden.


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Alexander Wolf AfD: So ein Unsinn, so ein bodenloser!)


- Es freut mich, das aus Ihrer Richtung zu hören, denn das heißt, wir reden demokratisch und kon­struktiv.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Alternative, was ich in diesem Haus vielleicht hie und da einmal hören könnte, nämlich die Klimakatastrophe per Antrag zu verschieben, steht uns nicht offen. Wir können das nicht beschließen. Und da möchte ich dann mit einem alten SPD-Spruch schließen: Nur Tun bewegt und nicht das Reden. Und genau da liegt unsere Messlatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist am Anfang schon einmal gesagt worden: die Neufassung des Klimaplans. Es hat uns sehr irri­tiert, als wir erfahren haben, dass sie erst im De­zember in den Senat gehen soll und damit ins Wahlkampfgetöse versenkt wird. Das hätte bei die­sem Thema eine andere Diskussion in unserer Stadtgesellschaft erfordert.

Wir wollen den Klimanotstand für Hamburg bean­tragen. Die GRÜNEN Bergedorf sehen das ganz genauso. Sie haben den Klimanotstand schon ein­mal erklärt und Bezirksamt und Bezirksversamm­lung einstimmig auf ihrer Mitgliederversammlung dazu aufgefordert, den Klimanotstand zu erklären.

Das ist der Kreisverband des Umweltsenators. In­sofern, denke ich, ist auch das ein deutliches Zei­chen, dass wir ein Handlungsdefizit in dieser Stadt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen mit unserem Antrag dafür sorgen, dass wir Strukturen und Handwerkszeug für die weitere Bearbeitung der Klimakatastrophe, für ihre Bewälti­gung zur Verfügung haben. Wir wollen nicht gleich mit einzelnen Maßnahmen an den Start gehen; die­se Streitereien sollten dann später erfolgen, denn das ist eine langwierige Diskussion, gerade ange­sichts der drei zu beachtenden Säulen der Nach­haltigkeit.

Statt der völligen Unübersichtlichkeit des Maßnah­menpakets, das wir im Moment schon haben, und eines überhaupt nicht zu überwachenden Zahlen­ werks wollen wir dafür sorgen, dass wir Finanzie­rungsvorbehalte vom Tisch bekommen, dass wir einen eigenen Ausschuss haben, der sich zentral mit diesem Thema beschäftigt, dass wir Experten­ kompetenz zur Verfügung gestellt bekommen, und vor allen Dingen, dass wir Hamburg 2035 klimaneu­tral haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das, denke ich mir, sind Ziele, die in dieser Gesell­schaft mehrheitsfähig sein müssen, und deswegen freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe, sie findet zeitnah statt und wird nicht auch im Wahlkampf versenkt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)


Teil 2
Stephan Jersch DIE LINKE: Danke schön, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Zu einigen Sachen will ich dann doch noch etwas sagen.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wir haben eineAusschussüberweisung!)

Das Grundsätzliche erst einmal zu diesem Finan­zierungsvorbehalt, der hie und da wieder durchge­drungen ist, wir müssten uns um die Finanzierung sorgen. Dazu kann ich dann nur sagen: Es gibt ge­wisse Notwendigkeiten. Wer in der Diskussion mit der Bürgerschaft, "Scientists for Future" und "Fridays for Future" war, wird durchaus zur Kenntnis genommen haben, dass dort ein hohes Maß an Skepsis besteht, dass notwendige Maßnahmen entfallen, weil die Finanzierung seitens der Politik in Abrede gestellt wird. Dem können wir entgegentre­ten, dem müssen wir entgegentreten; ich glaube, das ist unsere Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN)

Und was die Klimamaßnahmen in der Freien und Hansestadt Hamburg angeht: Wenn wir die Soll-Li­nie für das ursprüngliche 2030er-Ziel gegenüber der Ist-Linie in einer kleinen Grafik betrachten, dann sind das Parallelen, die weit auseinander liegen.

Durch die Erhöhung des Ziels für 2030 auf 55 Pro­zent Reduktion ist diese Linie sogar noch ein bisschen schärfer im Abstand geworden. Und wir reden hier nicht über 260 Tonnen CO2-Einsparung der Stadtreinigung Hamburg, sondern wir reden über mehrere Millionen Tonnen, die wir hintendran liegen zur Soll-Linie. Ich glaube, schon das zeigt, dass es notwendig ist, mehr und besser zu han­deln.

(Beifall bei der LINKEN)

Gut, über den Begriff Notstand kann man sich strei­ten. Kollege Duwe, ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen; als ich in den Kindergarten kam, hatten wir gerade die Diskussion über die Not­standsgesetze. Insofern: Ja, ich bin im Thema.

(Zuruf)

- Es war ein katholischer Kindergarten, wenn ich das einmal ausführen darf.

Aber ich glaube, es ist schon hergeleitet worden, worum es geht, und mit ein bisschen Abstand kann man das dann auch einordnen.

Und Kollege Gamm, mit Ihrer Analogie zur Drogen­sucht liegen Sie ganz und gar neben dem Thema. Es geht hier nicht wirklich darum, sondern es geht um ernste Bedenken von Menschen über ihre eige­ne Zukunft. Wenn Sie die so abtun, dann, glaube ich, haben Sie in der Politik nicht wirklich etwas ver­loren, denn es geht doch darum, die Menschen ernst zu nehmen mit ihren Problemen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und ganz ehrlich, ich kann auch gern noch münd­lich beantragen, dass die Berichterstattung im PDF-Format zu erfolgen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Klar sind wir uns doch darüber, dass die Instrumen­te zur Überwachung der Verursacherbilanz der CO2-Emissionen völlig unzureichend sind. Es kann nicht sein, dass wir immer auf die Verursacherbi­lanz vom Statistikamt Nord warten müssen; das sind diejenigen, die reporten. Mein Gott. Nein, das muss aus dem Senat, das muss aus den Behörden kommen, und zwar regelmäßig, sodass man nicht erst nachjustieren muss, wenn es denn zu spät ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bedanke mich natürlich bei der Kollegin Sparr. Dass die Vorschläge "schon konstruktiv, aber wahr­scheinlich nicht zielführend" seien, ist ja schon fast das höchste Lob, das ich von den GRÜNEN hier jemals bekommen habe. Insofern: Ja, das anerkenne ich. Nichtsdestotrotz bin ich aufgrund der Diskussi­on natürlich sehr erpicht darauf, im Ausschuss schnellstmöglich darüber zu diskutieren und es nicht irgendwo zu versenken, auch im Ausschuss nicht.

Einmal abgesehen davon, wie ernst die Lage ist, was den Klimawandel angeht: Jeder muss sich an die eigene Nase fassen. Jede muss sich an die ei­gene Nase fassen. Ich bin zuversichtlich, dass die Erde weiter ihre Bahnen um die Sonne drehen wird, aber ob die Menschen dann noch auf ihr sein wer­den, das ist hier die Frage. Und da sehe ich bei ei­nigen Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause nicht wirklich die Ziele, dass dem so sein wird. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)