Mit Wasserstoff allein schafft man die Energiewende niemals

Stephan Jersch

108. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am22. November 2019 - TOP I - AKTUELLE STUNDE: Der Norden gibt die Richtung vor:

Norddeutsche Wasserstoffstrategie legt Grundstein für erfolgreiche Dekarbonisierung der Industrie.

Videomitschnitt:

Teil 1: https://mediathek.buergerschaft-hh.de/videoschnitt/1574254351-1574254587/
Teil 2: https://mediathek.buergerschaft-hh.de/videoschnitt/1574256400-1574256561/

Transkript

Teil 1

Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ein Grundstein für erfolgreiche Dekarbonisierung der Industrie ist mit Sicherheit noch kein festes Funda­ment, auf dem man ein Gebäude mit Perspektive bauen kann. Und genau das scheint diese Strategie zu sein: relativ beliebig und mit mangelnder Strin­genz.

(Beifall bei der LINKEN)

Erst einmal hat man in Hamburg so ziemlich alles - und das war nicht viel -, was Wasserstoff benutzt hat, vom Hof gejagt. Es ist fast nichts mehr da. Und gerade haben wir in diesem Hause eine LNG-Strategie, einen Pfad zur Karbonisierung unserer Energiewirtschaft diskutieren müssen. Da stellt sich doch die Frage, was Sie aus Ihrem Zettelkasten herausgekramt haben, um diesmal den Wasserstoff zum Thema zu machen. Ist das Aktionismus oder nur ein Tranquilizer fürs Volk, weil Sie wissen, dass die Energiewende von den Menschen da draußen gefordert wird?

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, Wasserstoff kann ein Baustein der Energiewen­de sein, aber Sie tun so, als hätten wir in diesem Lande genug Ökostrom zur Verfügung, denn für Sie ist der Wasserstoff immer grün. Nein, das haben wir nicht. Dieses Land kann seinen Strombedarf nicht aus Ökostrom bedienen. Bei der Umwandlung von Ökostrom in Wasserstoff haben wir einen Ener­gieverlust von mindestens 20 Prozent. Das müssen wir uns auch noch einmal vor Augen führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man sich die Zaubernummer des Wasser­stoffs aus allen möglichen Reden vor Augen führt, dann kann ich nur sagen: Der Wasserstoffkuchen in diesem Land ist schon lange, bevor Wasserstoff produziert worden ist, verteilt worden.

(Michael Kruse FDP: Aber einen Kuchen gibt es schon!)

Wir bauen hier schon einmal für Wasserstoffimpor­te vor, und dann unterhalten wir uns auch noch ein­ mal über die Energiebilanz.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist sicherlich sinnvoll, die Energiewende zu be­schleunigen, Ziele messbar und überwachbar zu machen, die Akzeptanz bei den Menschen zu stei­gern. Wir wollen vor allen Dingen nicht vergessen, dass der wichtigste Baustein für die Energiewende ist, den Energieverbrauch zu senken.

(Beifall bei der LINKEN)

Am Anfang habe ich schon gesagt, dass wir mehr Stringenz in der Energiewende brauchen. Heute kann man in einer Tageszeitung aus Katar lesen,

(Andre Trepoll CDU: Was lesen Sie denn für Zeitungen? "Neues Katar" oder wie heißt die Zeitung?)

dass in Deutschland das Energiegeschäft vollstän­dig von Privatfirmen kontrolliert wird, die Regierung eine sehr beschränkte Rolle hat und die meisten In­vestitionsentscheidungen von Privatfirmen getroffen werden. So äußert sich ein Vertreter der deutschen Botschaft in Katar in Vorbereitung des Besuchs ei­ner Delegation mit Ministerpräsident Weil. Das ist das Ergebnis einer mangelnden Stringenz bei der Energiewende.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Kienscherf SPD: DIE LINKE weiß es besser!)

- DIE LINKE weiß es besser, ja natürlich, Herr Kienscherf. Besser hätte ich es nicht zusammen­fassen können. Danke für den Zwischenruf.

(Beifall bei der LINKEN)

Um die Richtung vorzugeben, brauchen wir mehr als diese lose Blättersammlung, die Sie hier her­auskramen. Die rot-grüne Koalition in dieser Stadt ist weit weg von einer Energiewende, von einem belastbaren Konzept. Deswegen fordern wir auch von Ihnen wirklich messbare und überwachbare Maßnahmen für die Energiewende. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)


Teil 2:

Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, ja, grüner Wasserstoff ist in der Tat CO2-neutral; insofern kann ich Ihnen da völlig zu­stimmen. Nichtsdestotrotz: Wenn ich Wasserstoff eintippe, dann wird die Autoergänzung nicht "grün" davor schreiben; von daher ist das keine Selbstver­ständlichkeit.

(Michael Kruse FDP: Die sagt ja nur, was da­nach kommt, nicht davor!)

Insofern ist das natürlich ein Commitment, das in der Tat wichtig ist. Aber nichtsdestotrotz haben wir nicht genug Erneuerbare Energien. Wenn Sie, Herr Senator, Europa dort noch mit einbeziehen - zu diesem Punkt komme ich später noch einmal -, dann ist das natürlich etwas, was man diskutieren kann und sollte. Aber was würden wir denn in Deutschland, in Norddeutschland machen, wenn tatsächlich irgendjemand in Berlin, irgendjemand in den süddeutschen Ländern dahin kommt, dass die­ser erneuerbare Strom aus dem Norden tatsächlich abfließen kann? Der fehlt in der Produktionskette in dieser Strategie, die eigentlich keine richtige ist.

Nichts gegen die Forschung für Wasserstoff; das ist okay und ein wichtiger Baustein für die Energie­wende. Soweit ist das, glaube ich, allgemein aner­kannt. Aber ich mache mir natürlich Gedanken über das Logistische. Ich mache mir Gedanken darüber, dass zu einem Fundament der Grundstein gehört. Nur, wenn das Fundament anfängt zu bröseln, eventuell weil der Strom wie gewünscht abfließt, dann muss man natürlich gucken, was man macht. Und das vermisse ich. Einfach loszurennen reicht in dieser Strategie nicht; da erwarte ich mehr Nach­haltigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles in allem habe ich das Gefühl, dass an dieser Stelle das Fell des Bären aufgeteilt wird, bevor er erlegt worden ist, und am Schluss niemandem mehr warm von diesem Fell wird, sondern letztend­lich nur noch kleine Fellstückchen verteilt werden können, weil einfach nicht genug da ist vom erleg­ten Bären. Und zu den ständigen Verweisen auf Berlin: Es mag sein, dass Berlin da schlechte Politik macht, das ist richtig, aber lassen Sie uns nichts­ destotrotz gucken, was wir hier in diesem Land ma­chen können. Deswegen die Forschung hier aufzu­bauen ist völlig in Ordnung, Herr Senator, völlig in Ordnung, aber ich denke, wir brauchen mehr Stra­tegie und mehr Stringenz, bevor die Privatwirtschaft uns da wieder die Steuerung aus der Hand nimmt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)