Personalnotstand in Bezirksämtern nicht mit Globuli, sondern richtig therapieren

Stephan Jersch

97. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 25. April 2019 - TOP I - AKTUELLE STUNDE - Personalmangel, hohe Krankenstände, lange Wartezeiten - rot-grüner Senat lässt die Bürger im Stich

 

Redebeitrag 1. Teil anschauen

Redebeitrag 2. Teil anschauen

Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Beim Recherchieren für das Thema - man hat es aus ei­gener Erfahrung schon vor Augen - habe ich Schlagzeilen gefunden wie 2014 "Tschüss, Warte­zeit" oder 2017 "Bald soll Schluss sein mit Warten". Und 2018 war alles wieder auf der Spur.

(Wolfgang Rose SPD: Ist doch Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich hier eindeutig um Wellenbewegungen, und zwar Wellenbewegungen abwärts. Die Wartezeiten in den Kundenzentren, bei den Anwohnerangelegen­heiten genau wie bei den Baugenehmigungen, sind doch nur die Spitze in den Bezirksämtern; es wird und wird nicht besser.

Zuständig war in der Tat von 2011 bis 2018 unser jetziger Erster Bürgermeister, Herr Tschentscher, der schon damals die Bezirksämter auf den Kurs nach unten geführt hat. Liest man den "Spiegel", in dem ein Bürgerschaftsabgeordneter zitiert wird mit

"Tschentscher ist Arzt, er sieht sich erst mal die Diagnose an, bevor er die Therapie an­ geht",

dann fragt man sich natürlich: Welche Diagnose war es denn bisher?

(Kazim Abaci SPD: Herr Jersch, Mann!)

Bis 2018 kann es die Scholzitis gewesen sein. Aber was bitte ist es jetzt?

(André Trepoll CDU: Grüne Grippe!)

Man merkt diesen hilflosen Therapien an, dass die Diagnose nicht wirklich stimmen kann. Der Kran­kenstand in den Bezirksämtern wird mit Zwei­schichtbetrieb und Sonnabendsarbeit therapiert - das kann nun wirklich nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fluktuation in den Bezirksämtern wird nach wie vor mit ungenügender Bezahlung und höherer Ar­beitsdichte prämiert. Auch das kann nicht wirklich eine Therapie sein. Und wenn man sieht, dass im­mer wieder die Aufwände in den Bezirksämtern nicht wirklich auf den Prüfstand kommen, Personalbedarfe nicht gemonitort werden, sondern die Kolle­ginnen und Kollegen in den Bezirksämtern plötzlich vor viel mehr Aufgaben stehen, die überraschend kommen mögen - sei es neue Software, bei der nicht geprüft wird, wie viel Personalaufwand not­wendig ist, sei es neues Regelwerk, das ganz ohne Personalbedarfsplanung eingeführt wird dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

So kann ich nur sagen, die Diagnose heißt: falsche Bezirkspolitik. Das muss geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Moment sehen wir eine Therapie mit Globuli, nichts anderes.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Das ist nicht das Schlechteste, nichts gegen Globuli!)

Wir haben das nächste Desaster. Eine wachsende Stadt, größere Bezirksverwaltungen - wo sind die Räume? Bisher hat sich anscheinend noch nie­mand um neue Räume für Kolleginnen und Kolle­gen gekümmert, die in den Bezirksverwaltungen das ausbaden müssen, was die Regierung bisher nicht geschafft hat, nämlich den Bedarf abzu­decken, der in den Bezirken verstärkt entsteht.

Wenn man sieht, wo wir hinkommen müssen, dann ist das natürlich eine valide Personalbedarfsbemes­sung, die im Moment nicht stattfindet, oder da, wo sie stattfindet, wie zum Beispiel beim ASD, nicht veröffentlicht werden kann; das Ergebnis muss wirklich nicht schön gewesen sein.

Und: Wer besser bezahlen will, wer es attraktiver machen will, der darf nicht darauf bauen, dass Ver.di sich in den Tarifkämpfen durchsetzt. Hier gibt es andere Möglichkeiten, die die Stadt durchaus angehen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen Personal über den Bedarf hinaus. Personal ist nie zu 100 Prozent da; wir brauchen 110 Prozent Personal für einen dann auch einmal gemessenen Personalbedarf, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich kann nur feststellen: Seit 2011, als der Brandbrief der Bezirksamtsleiter noch die alte CDU-Regierung traf, hat sich nicht wirklich etwas an der Situation für die Bezirke geändert.

(Wolfgang Rose SPD: Hast du nicht zuge­hört?)

Die Themen sind nach wie vor aktuell.

Als ich die Kollegin Gallina eben gehört habe, habe ich verstanden, dass die Regierungskoalition sich auf den Weg gemacht hat. Ich glaube, dieser Weg ist in Hamburg eine Kreisbewegung und das Ziel an sich. Und das muss geändert werden. Die Bezirke müssen endlich ausreichend ausgestattet werden, personell und finanziell, und bei beidem hinkt dieser Senat hinter den Bedarfen her. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

2.Teil
Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann aufgrund der letzten Rede des Kollegen Tjarks nur feststellen: Die heftige Kritik aus der Per­sonalversammlung ist in dieser Regierungskoalition augenscheinlich komplett verpufft.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU)

Es ist wirklich abenteuerlich.

Ja, wir sagen den Beschäftigten in den Bezirksäm­tern Danke für ihren Einsatz unter Arbeitsbedingun­gen, die nicht leicht sind. Nach der Kritik auf der Personalversammlung kann ich nur sagen, dass der Trend der Beschäftigten eher ist, in Richtung der Regierungskoalition zu sagen: Danke für nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn es hier hieß, es werde in den Bezirksäm­tern deutlich über Bedarf gefahren, dann wiederho­le ich meine Kritik. Nein, Sie kennen die Bedarfe der Bezirksämter nicht. Personalbedarfsmessungen sind zum Teil mit Staubschichten belegt und über­haupt nicht mehr aktuell. Das sehen wir doch zum Beispiel an so etwas wie PROSA; da ist schon lan­ge nichts Neues mehr an Personalbedarfsmessung erfolgt. Das sehen wir auch in vielen, vielen ande­ren Bereichen innerhalb der Bezirksämter. Viel­leicht sollten Sie einmal mit Personalräten reden. Ich glaube, Sie haben da ein Kommunikationspro­blem.

(Beifall bei der LINKEN und bei Joachim Len­ders CDU)

Und wenn wir dann noch einmal die wunderschöne Offensive für die Bezirksämter aufgreifen, dann ist es doch so, dass die Sonnabendarbeit zum Beispiel so geregelt wird, dass Freiwilligkeit vorgeht. Freiwil­ligkeit geht vor, das heißt aber, sie ist genauso wie für den Schichtbetrieb nicht Grundvoraussetzung für Sonnabendarbeit. Liebe Kolleginnen und Kolle­gen. Das ist, finde ich, bei den Beschäftigten, die schon länger in den Bezirksämtern sind, eine Vor­spiegelung falscher Tatsachen.

Und wenn ich höre, mobile Kundenbetreuer ließen sich in Neuwerk blicken, dann bin ich froh, dass sie in Neuwerk waren - die Vier- und Marschlande hät­ten so einen auch gern gesehen.

Ich kann nur sagen, versprochen, gehalten, da ist aber ganz, ganz viel Lyrik dabei. Die Bezirksämter haben Besseres verdient als die Politik dieser Re­gierungskoalition.

(Beifall bei der LINKEN)