"Starke Bezirke in schwierigen Zeiten"

"Starke Bezirke in schwierigen Zeiten" lautete das Thema in der Bürgerschaftssitzung am 29. Juni 2022. Für die Linksfraktion nahm Stephan Jersch zu dem Thema Stellung.

  • Die Debatte zu diesen Tagesordnungspunkt ist in der Mediathek der Bürgerschaft hier online. Der Beitrag von Stephan Jersch ist hier als Video.

Die Rede im Wortlaut:

Starke Bezirke in schwierigen Zeiten
Stephan Jersch DIE LINKE:

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die Beschreibung der Bezirksämter und ihrer Funktion ist
wirklich gelungen. Sie sind das Gesicht der Stadt
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieser
Stadt, sie sind zentraler Ansprechpartner, und sie
haben sehr, sehr viele Aufgaben in schwierigen Zei-
ten übernommen. So weit richtig. Aber in diesem
Fall, Kollege Trepoll hat es gerade angesprochen,
wird auch in diesem Antrag wieder die Mär von
Leistungssteigerung, Effizienzsteigerung, Bench-
marking, Aufgabenkritik zulasten der Beschäftigten
der Bezirksämter verbreitet. Die Bezirke sind seit
mindestens 2008 – und soweit ich das verfolgen
konnte, begann das Thema unter Schwarz-Grün –
eine Art ausgequetschte Zitrone der Politik in Ham-
burg. Nach wie vor werden Stellen nicht besetzt,
werden Ausschreibungen verschoben. Um Budget
zu sparen, gibt es keine wirklich anständige Perso-
nalbedarfsplanung bei neuen Aufgaben und hinken
die Arbeitsbedingungen in den Bezirksämtern de-
nen in den Behörden der Stadt hinterher. Wir haben
einen Braindrain, der von den Bezirksämtern in die
Behörden geht, und das betrifft nicht nur Gesund-
heitscenter, Jugendämter oder den Katastrophen-
schutz, so wie es hier im Antrag steht.

Wenn man in die Bezirke reinhört, wo es denn fehlt,
dann gibt es eine reichhaltige Palette von Sachen,
die dort aufgeführt werden. Das geht von der Unter-
stützung durch das Bezirksamt für Grünpatenschaf-
ten über den Wohnraumschutz, der in den Bezirks-
ämtern nach wie vor nicht funktioniert, oder die
ganz besonders schwierige Gremienbetreuung, die
irgendwo im Abseits steht und mehr Personal brau-
chen kann, bis hin zu Centermanagement oder
Straßensozialarbeit, die alle entweder gar nicht
oder über dritte Töpfe, zum Beispiel den Quartiers-
fonds, finanziert werden. Das kann nicht sein, das
ist eine strukturelle Unterfinanzierung der Bezirks-
ämter.
(Beifall bei der LINKEN)

Besonders kritisch wird es da, wo die Demokratie
tangiert wird. Wenn den Bezirksversammlungen ab-
geraten wird, bestimmte Aufgaben zu machen, oder
Gremien, neue Ausschüsse einzurichten, weil das
Bezirksamt kein Personal dafür hat, dann ist das
ein Eingriff in die demokratischen Rechte der be-
zirklichen Gremien. Das kann nicht sein, dafür
muss das Personal da sein
(Beifall bei der LINKEN)

genauso wie für die Unterstützung der Quartiers-
und Stadtteilbeiräte, damit man nicht jahrelang auf
irgendwelche Protokolle warten muss.
(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen aufpolierte Arbeitsbedingungen, die
vergleichbar sind mit denen in den Behörden. Wir
brauchen gutes Geld für gute systemrelevante Ar-
beit. Die Bezirksämter auszuhungern – und auch
dieser Antrag wird nicht viel daran ändern – heißt,
die Demokratie in dieser Stadt zu schwächen.
Bezirke können mehr. Sie könnten mit mehr Perso-
nal deutlich mehr Bürgernähe vorhalten. Aber die
Stellenpolitik nach Vorschrift ist immer noch eine
Handbreit überm Aushungern für die Bezirksämter.
Das ist deutlich zu wenig, und der Wurf mit diesem
Antrag ist viel zu klein.
(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen will ich auf den Brief der Bezirksamtslei-
terinnen und Bezirksamtsleiter von Februar 2011 zu
sprechen kommen, in dem sie die Situation damals
sehr deutlich geschildert haben. Sie forderten, alle
bürgernahen Aufgabenfelder in die Bezirke zu über-
tragen, die Bürgernähe auskömmlich zu finanzieren
und als Gegenfinanzierung Leitstellen, Präsidialab-
teilungen und Stäbe zu reduzieren. Das ist nach
wie vor ein Unwesen in dieser Stadt.
(Beifall bei der LINKEN)

Das Angebot der Bezirke damals war, Aufgaben
von den Ämtern, Behörden zu übernehmen; die Be-
zirke würden diese 20 Prozent effizienter als die
Behörde erledigen. Das lässt mich noch einmal da-
zu kommen: Wäre es nicht einmal eine Idee, den
Haushalt so zu gestalten, dass die Bezirke darüber
befassen, wie viel Personal die Behörden in Ham-
burg finanziert bekommen?
(Beifall bei der LINKEN)

Aber von alledem steht hier nichts. Es ist letztend-
lich das Manifest einer gescheiterten Planung. Die
Bezirke sind nicht nur personell unterfinanziert, sie
könnten auch für ihre Investitionen deutlich mehr
brauchen. Wenn man die Bezirke wirklich stärken
will, dann heißt das für die Zukunft: Die Minderaus-
gaben für die Bezirke müssen vom Tisch,
(Beifall bei der LINKEN)

die Personalbremse für die Bezirke muss vom
Tisch. Starke Bezirke gehen anders als mit diesem Miniantrag.

– Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)