"System change, not climate change"- Stephan Jersch kritisiert mangelhaften rot-grünen Klimaplan

In der Aktuellen Stunde der Bürgerschaftssitzung am 24. März 2021 war der Klimaschutz erneut auf der Tagesordnung. Scharfe Kritik an der rot-grünen Klimapolitik in Hamburg hat der umweltpolitisches Sprecher Stephan Jersch vorgebracht - und dabei eine Abkehr vom Kuschelkurs gegenüber den Konzernen gefordert: "Solange kurzfristige Gewinne, die Quartalsbilanzen und Dividenden im Vordergrund unternehmerischen Handelns stehen, wird sich nichts ändern. Nur die sozial-ökologische Transformation hat eine Chance, dauerhaft den Systemwechsel zu schaffen." Die Rede ist im folgenden im Wortlaut und als Video dokumentiert.

 

Hier ist die Rede als Video online im Youtube-Kanal der Hamburger Linksfraktion.

Aktuelle Stunde
Klimaschutz bleibt politische Agenda! Hamburg
hat 1,5-Grad-Ziel fest im Blick

Stephan Jersch DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir befinden uns mitten in zwei globalen Krisen. Die der Pandemie ist allgegenwärtig, das Handeln überschlägt sich, und es ist unbestritten notwendig, zumindest, wenn man faktenbasiert auf das Geschehen schaut. Die Schuldenbremse wurde ausgesetzt, Milliarden Euros wurden mobilisiert und ordnungspolitische Maßnahmen im Monatstakt verkündet. Auch das ist wichtig und richtig. Aber was
ist eigentlich aus der ersten globalen Krise geworden, der Klimakrise, die, der Anmeldung nach, Sie doch fest im Blick haben? Da gibt es bei Rot-Grün
zweifelsohne erhebliche Defizite in der Analyse, in der Kommunikation und beim Handeln und erhebliche Zweifel deswegen an den Erfolgsaussichten,
wenn man es faktenbasiert betrachtet. Und die Selbstkritik des Kollegen Lorenzen bringt uns auch nicht weiter zur Zielerreichung. Im Gegenteil, wenn
ich das CDU-Bashing von Ihnen hier höre, dem ich mich in Teilen sicherlich anschließen werde, mit den Empty Promises, dann musste ich dabei an die
GRÜNEN denken.

(Beifall)

Und schauen wir auf den Klimaplan, letztendlich das Pflichtenheft, der eindeutig nachgebessert werden soll, muss. Wir haben einen Finanzierungsvorbehalt im Haushaltsplan, der muss raus. Klimarettung, Klimaschutz darf nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen, dann ist das Problem nicht erkannt, wenn man so darangeht, und dann ist Nachhilfe notwendig. Fest im Blick ohne Finanzierung ist sinnfrei und verantwortungslos, und die 2 bis 3 Milliarden Euro, die Sie ankündigen bis 2030, stehen nach meinem Dafürhalten auf tönernen Füßen.

Letztendlich ist das Leitmotiv von Rot-Grün beim Klimaschutz der Konjunktiv, und der Weg scheint hier das Ziel zu sein. Und solange kurzfristige Gewinne, die Quartalsbilanzen und die Dividendenausschüttungen im Vordergrund unternehmerischen Handelns stehen, wird sich daran nichts ändern. Diese Analyse sollten Sie durchaus teilen.

Nur die sozialökologische Transformation hat eine Chance, dauerhaft den Systemwechsel zu schaffen.

(Beifall)

System Change not Climate Change ist hier das Motto. Und wenn in der Pandemie Ordnungspolitik wirkt, dann ist es doch die Frage, warum Sie seit
Jahren unsere Ansätze dafür, für Ordnungspolitik im Klimaschutz, hier im Haus dämonisieren. Ordnungspolitik wirkt auch beim Klimaschutz, und sie
ist die Basis für einen gerechten Klimaschutz.

(Beifall)

Selbst die ersten ordnungspolitischen Trippelschritte im Klimaschutzgesetz sind eher ein Stolpern bei Ihnen, und der Kollege Gamm hat sich doch auch schon auf das Ölheizungsverbot bezogen, das Verbot von Klimaanlagen kommt noch dazu, Ihr klimapolitisches Defizit im Klimaplan steigt weiter an, ohne dass Sie Maßnahmen dagegen haben.

Die Landstromversorgung für Schiffe ist weiterhin eine wahlfreie Sache. Der Flughafen ist weiter dazu verdammt, jeden klimapolitischen Konsens zu verlassen, indem er auf immer mehr Flüge angewiesen ist, um sich selbst zu tragen. Sie haben bisher keine Abkehr von Ihrer LNG-Strategie geäußert.
Und das ständige Reparieren zeigt letztendlich, dass Sie den Ursachen nicht gerecht werden, dass Sie diese anscheinend nicht bereit sind zu erkennen. Denn immer noch sind es ein Drittel der 500 größten Konzerne, die Geld mit Kohle, Öl und Gas verdienen.

(Zuruf)

1,5-Grad-Ziel, das ist nur mit Ordnungspolitik, nur mit einer sozialökologischen Transformation zu erreichen. Nur damit werden wir gesellschaftliche
Verwerfungen und eine neue soziale Spaltung verhindern.

Ganz ohne Senatskonjunktiv müssten die Ziele sein, Klimaneutralität bis 2035 und nicht irgendwann vor 2050.

(Beifall)

Wir brauchen autoarme Zentren, wir brauchen eine Abkehr vom Flugverkehrswachstum, wir brauchen einen Stopp der Flächenversiegelung, eine konsequente Ökologisierung unserer Stadt. Und vor allen Dingen, wir brauchen Partizipation, Mitwirkung.

(Beifall)

Denn zu einer erfolgreichen Ordnungspolitik gehört die Einbeziehung der Bevölkerung in diese sozial-ökologische Wende. Wenn Sie nur das Ziel von
1,5 Grad im Blick haben, dann fehlt Ihnen die Ergebnisorientierung. Und da haben Sie eine erhebliche Schwäche und werden sich daran messen lassen müssen. Bessern Sie nach. – Danke.

(Beifall)

Stephan Jersch DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Nach der Bundestagswahlempfehlung des Herrn Senators frage ich mich, ob der Klimaplan in Hamburg nicht einen Untertitel braucht. Zu wenig, nicht ausreichend und nur mit grüner Bundesregierung zu schaffen, wäre demnach der richtige Titel. Vielleicht sollten solche Vorlagen in der Bürgerschaft zwei Kästchen unten dran zum Ankreuzen haben: "nett gemeint" und "realisierbar". Diese beiden Entscheidungskriterien wären nicht das Schlechteste.

(Beifall)

Ich frage mich: Was ist daran ambitioniert, wenn man das Ziel, die 1,5 Grad, kennt und dann doch nicht genügend Maßnahmen definiert in diesem Kli-
maplan, um dieses Ziel dann auch wirklich zu erreichen? Was ist daran ambitioniert, wenn man immer noch und auf mehrere Jahre hin der letzte Kohlekraftwerksbetreiber in Hamburg ist?

(Zuruf)

Und was ist daran ambitioniert, wenn ich heute lese, dass Herr Senator Westhagemann zum Beispiel für den Neustart der Kreuzschifffahrtsindustrie in
Hamburg plädiert,

(Beifall)

und zwar auf Basis von Wertschöpfung und Nachhaltigkeit gemeinsam gestaltet? Hier meinte er wohl die nachhaltige Wertschöpfung,

(Beifall)

das wäre wohl sein Ziel.

Nein, wir brauchen einen runderneuerten Klimaplan als Teil einer sozialökologischen Transformation, der zukunftssichernd, arbeitsplatzerhaltend und sozial und klimagerecht gestaltet ist. Das, was für das Ziel von 1,5 Grad notwendig ist, ist quantifizierbar, also müssen die Maßnahmen das auch hergeben.

Das Zeigen auf Dritte, wo auch immer, früher war es Europa, jetzt ist es Berlin, hilft uns an dieser Stelle nicht weiter. Und vor allen Dingen, wenn andere es schlechter machen sollten, dann hilft uns das auch nicht weiter, wir müssen es dann eben noch besser machen.

(Beifall)

Wenn ich im Klimaplan 400 Projekte, mehr als 400 Projekte sehe, dann sind das vor allem Prüfaufträge und Wiedervorlagen, und diese werden
das Klima in Hamburg oder die Klimamaßnahmen Hamburgs mit Sicherheit nicht ausreichend unterstützen. Ein Energiemix der Bundesregierung, auf
den da immer wieder verwiesen wird, der ist schlussendlich natürlich nicht in Hamburg zu gestalten, aber dann müssen wir gucken, mit welchen
Maßnahmen wir das in Hamburg gestalten. Das werden wir mit Sicherheit nicht großflächig tun können, indem wir mit den großen Klimasündern der
Großindustrie zusammenarbeiten, da sollten wir im eigenen Haus nach ökologischen Firmen gucken, die auch wirklich ein Gewissen haben. – Danke.

(Beifall)
Stephan Jersch DIE LINKE:
Frau Präsidentin! Lieber

Kollege Mohrenberg, zu dieser persönlichen Ansprache muss ich jetzt doch einmal sagen, denn Traurigkeit ist bei mir auch ein Gefühl, das angesichts dieser Debatte, insbesondere aber auch wegen Ihrer Aussagen, gekommen ist.

(Zurufe: Oh!)

− Ich freue mich, dass die SPD-Fraktion auch tiefe Traurigkeit bewegt. Das hört man.

(Zuruf)

– Ach, meinetwegen, Sie können froh sein, dass ich 1981 aus der SPD ausgetreten bin.

(Beifall – Heiterkeit)
– Das war eindeutig richtig und wichtig und hätte nicht später passieren dürfen.

Sie wissen doch, was für das 1,5-Grad-Ziel da ist. Sie wollen maßnahmenorientiert debattieren. Dann legen Sie die Maßnahmen vor,

(Zuruf: Haben wir doch!)
die zum Einhalten des 1,5‐Grad-Zieles notwendig sind. Sie wissen sehr genau, dass dieser Klimaplan unterfinanziert ist, was die CO 2 ‐Einsparungen angeht. Sie wissen genau, dass das, was im Klimaplan steht, sowieso nur zu erreichen ist, insbesondere in den kritischen Bereichen wie Industrie,
wenn die Bundesregierung ihre Zielzusagen einhält. Sie sind damit einfach nicht ausreichend unterfüttert, was das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels angeht.

(Zuruf von Dirk Kienscherf SPD)

– Ach, Herr Kienscherf, nun hören Sie doch einmal auf. Sie sind einfach nicht ausreichend unterfüttert, was das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels angeht.

(Beifall)
Sie haben es tatsächlich gebracht, in Ihrem ersten Redebeitrag von Mitmachplan oder so etwas in der Richtung zu reden. Sie gehören zu einer Regierungskoalition, unter der die Partizipation in dieser Stadt über Überschriften und Absichtserklärungen noch nicht hinausgekommen ist. Beiräte werden nicht mehr richtig angehört, ihre Ergebnisse fließen nicht wirklich in die politischen Entscheidungen ein.

Sie schaffen es nicht vor Ort, Bürgerinnen und Bürger so zu beteiligen, dass diese auch das Gefühl haben, dass ihre Aussagen ernst genommen wer-
den. Das Comply or Explain ist ein glattes Kapitel vom Versagen Ihrer Politik.

(Beifall)

Nehmen Sie die Bürgerinnen und Bürger ernst, beteiligen Sie sie, dann wird das auch etwas zum Mitmachen. Aber das, was Sie hier abziehen, ist einzig
und allein ein Überschriftenaustausch und reine PR-Politik. Da müssen Sie noch richtig lernen, was Partizipation heißt. Ich empfehle Ihnen da die eine
oder andere NGO, die haben gute Vorschläge dafür. Ansonsten kann ich Sie da auch gern beraten. – Danke.

(Beifall – Zurufe)