Kohleheizkraftwerke zur Stromgewinnung im Sommer laufen lassen straft alle klimaschützerischen Beteuerungen Lügen!

Stephan Jersch

107. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 6. November 2019 - TOP 38 (Drucksache 21/18777) - Klimawende selbst gemacht: Shutdown für Kohlemeiler Wedel und Tiefstack außerhalb der Heizperiode - Antrag der Fraktion DIE LINKE

 

Videomitschnitt:

Teil 1: https://mediathek.buergerschaft-hh.de/videoschnitt/1573054043-1573054348/
Teil 2: https://mediathek.buergerschaft-hh.de/videoschnitt/1573055586-1573055788/
Teil 3: https://mediathek.buergerschaft-hh.de/videoschnitt/1573056228-1573056344/

Transkript:

Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Be­zug auf die Klimarettung entpuppt sich die Freie und Hansestadt Hamburg immer mehr zu einem Papiertiger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man
kann viel vo n dieser Stadt angesichts der vielen offenen Flanken fordern. Man kann sagen, der Kohleausstieg müsse auf 2025 vorgezogen werden. Man kann sagen, das Kohleheizkraftwerk in Wedel müs­se schneller abgeschaltet werden, denn, erinnern wir uns, es sollte 2019, dann 2021 - zwischendurch war einmal die Rede von 2022/2023 -, aber jetzt ganz bestimmt bis 2025 ersetzt werden.

(Michael Kruse FDP: Hätten Sie mal nicht die Moorburg-Trasse blockiert!)

- Ja?

Das Kraftwerk in Tiefstack zählt natürlich auch noch zur To-do-Liste, die unbedingt erfüllt werden müss­te. Auf erneuerbare Energien bis 2030 umzustellen ist eindeutig viel zu spät.

Aber was man eigentlich nicht hätte fordern müs­sen oder daran denken können, es zu fordern, ist der Ausstieg aus der Hamburger Kohlestrompro­duktion. Es ist unfassbar: Hamburg ist der zweit­größte Produzent von Kohlestrom geworden. Das ist angesichts der Klimaziele bigott.

(Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt den Vorsitz.)

SPD und GRÜNE machen beim Klimaschutz keine Fortschritte. Im Gegenteil, der Ausstieg als Kohle­produzentin in dieser Stadt unter Federführung ei­nes grünen Umweltsenators, was man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss, ist ein Verstoß gegen die Forderungen des Volksent­scheids zum Rückkauf der Energienetze. Er ist ein echter Affront gegen den Klimaschutz.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Windschatten dieses Rückkaufs des Fernwär­menetzes produziert Hamburg jetzt sozusagen als Abfall in der Kraftwärmekopplung Strom. Aber es produziert diesen Strom auch im Sommer, wenn die Wärme nicht wirklich gebraucht wird oder wir andere Quellen dafür haben. Das ist ein klimapoliti­scher Skandal in dieser Stadt.

(Beifall bei der LINKEN)

Paragraf 1 des Hamburgischen Klimaschutzge­setzes ist da sehr eindeutig. Ich denke, wir sollten hier sehr klar sagen, dass die Sommerproduktion mit Kohlestrom im Kraftwerk Wedel nicht möglich ist und unterbunden werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass Strom im Sommer aus einem Kohlekraftwerk in Hamburg tatsächlich passiert, ist klimapolitisch eine völlige Unmöglichkeit, und ich bin gespannt auf die Begründung, die dazu nachhher von der Ko­alition kommen wird. Einige der Punkte kenne ich schon, aber wir haben noch eine zweite Runde.

Wenn man sieht, dass die senatseigene Hemisphä­re dieser Welt unter Weihrauchdämpfen ständig be­tont, wie vorbildlich die hamburgische Regierungs­politik in Bezug auf Klima sei, dann kann man nur sagen, dort, wo man es selbst in der Hand hätte, tut der Senat tatsächlich nichts,

(Farid Müller GRÜNE: So ein Quatsch!)

und das ist deutlich zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Von Januar 2018 bis August 2019 hat Wedel Strom für einen Jahresverbrauch von 700 000 Haushalten ins Netz gepumpt - Kohlestrom. Liebe Kolleginnen und Kollegen, demnach kann man nur sagen: Wär­me Hamburg ist die kleine Schwester von Vattenfall in Hamburg geworden, und das ist ein unhaltbarer Zustand

(Beifall bei der LINKEN)

Hamburg ist in der Pflicht, der Senat ist in der Pflicht, den Klimaschutz nicht von der Kassenlage abhängig zu machen, und noch wichtiger, nicht auf die Silberlinge aus dem Kohlestromverkauf zu set­zen. Die Zahlen und Fakten auf den Tisch zu legen, Alternativen nicht nur totzureden, sondern Alternati­ven umzusetzen, das wäre die Aufgabe des Senats für den Klimaschutz in Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Kruse FDP: Sie müssten mal welche aufzeigen!)

Es ist schon interessant, wie dieser Senat, wie die­se Regierungskoalition Hamburgerinnen und Ham­burgern erklären möchte, dass sie sich für den Kli­maschutz einzuschränken haben, wenn gleichzeitig der Umweltsenator in Hamburg zum Kohlebaron aufsteigt. Das geht nicht.

(Farid Müller GRÜNE: Oh Gott!)

- Er ist noch nicht im göttlichen Zustand, aber er ar­beitet daran.

Wir reden in Wedel aber auch über weitere Umwelt­belastungen. Wir alle kennen die Partikelnieder­schläge.

(Zurufe von der SPD)

Wir wissen, dass Schleswig-Holstein da eine rück­haltlose Deckung bringt. Aber wie lange wird diese noch halten? Meine Güte, setzen Sie doch einmal auf Alternativen: die Stromproduktion außerhalb der Heizperiode abzuschalten - das ist eine Verpflich­tung, die Sie eingehen müssten - und vor allen Din­gen darüber hinaus zu prüfen, ob man nicht die Einsatzreihenfolge umdreht und die Kohlekraftwer­ke nur noch als Back-up nutzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe um Zu­stimmung für unseren Antrag.

(Glocke)

Jetzt Klimaschutz. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Teil 2

Stephan Jersch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich glaube, viel muss man nicht dokumentieren, es reichen Ihre Reden.

(Michael Kruse FDP: Gehen Sie mal auf die Sachen ein! Machen Sie mal!)

Von daher bin ich schon sehr zufrieden, was hier an Klartext gekommen Ist. Dass Sie, Herr Kruse, als Juniorpartner einer geschwächten SPD auf den März spekulieren, ist mir klar. Dass Sie so weit ge­hen, finde ich erstaunlich. Das nehme ich jetzt erst einmal so zur Kenntnis.

(Michael Kruse FDP: Muss nicht Ihre Sorge sein! Gehen Sie mal auf die Sache ein!)

Nichtsdestotrotz muss ich feststellen, dass Sie ge­nau das nicht vertreten, was spätestens seit den Gesprächen mit "Fridays for Future", so dachte ich eigentlich, Konsens ist. Dass es bei der Klimaret­tung keinen Finanzierungsvorbehalt gibt, dass die Kosten, wenn wir nicht schnell genug handeln, deutlich höher sein werden, als man sich das heute im Kassenbuch ausmalen mag, und dass es sich am Schluss für alle rentiert, das ignorieren Sie.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern sind Ihre Prämissen völlig falsch. An Ihnen ist die Zeit vorbeigegangen, das kann ich ganz deutlich sagen, zumindest was Umwelt- und Klima­schutz angeht.

Und was den Ersatz und die Back-ups angeht: Ich glaube, Frau Sparr hat den Antrag nicht ganz gele­sen. Natürlich wollen wir eine Versorgungssicher­heit, und genau deswegen sollten diese Kohlekraft­werke trotz ihrer Bedenklichkeit als Stand-by im Hintergrund erhalten bleiben. Aber wenn Sie jetzt sagen, wir bekämen sie nicht mehr angefahren, muss ich wirklich sagen: Letztes Jahr ist der Block A in Wedel drei Monate vom Netz gewesen; da hat er keine Wärme und keinen Strom produ­ziert. Hamburg ist nicht zusammengebrochen, und er ist nach drei Monaten auch wieder angefahren. Also von daher halte ich dies für eine Schutzbe­hauptung

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie das tatsächlich in aller Öffentlichkeit be­haupten wollen, möchte ich sehen, was Sie einem Handwerker mit seinem Uralt-Diesel sagen, der sei­nen Motor laufen lässt und dann sagt, er könne ihn nicht ausstellen, denn er bekäme ihn nicht wieder an. Was sagen Sie ihm denn? Hier gibt es offen­sichtlich Gleiche und Gleichere in dieser Stadt. Bei Ihnen ist das ein Risiko, beim Handwerker dann wahrscheinlich nicht. Ich glaube, da sollten Sie
schon überlegen, wie Sie die Kraftwerke für dieRestlaufzeit so hinbekommen, dass Sie sie wieder einschalten können, wenn sie einmal ausgeschaltet waren.

(Zuruf von Ewald Aukes FDP)

Was ich besonders erschütternd finde, ist in der Tat, dass Wedel keinen Strom produzieren muss.

Wir haben in der SKA gefragt, ob es dafür vertragli­che Notwendigkeiten gebe. Der Senat hat ganz klar Nein gesagt. Ich glaube, auf diese Antwort in der SKA kann man sich beziehen. Auch das ist nichts anderes als eine Schutzbehauptung. Selbst die GRÜNEN haben bundesweit in ihrem Klimaschutz­programm deutlich festgestellt, dass der Weg zu er­neuerbaren Energien auch deswegen blockiert ist, weil Kohlestrom unsere Netze blockiert. Mein Gott, schreiten Sie doch mal voran. Tun Sie was in Ham­burg. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Teil 3

Stephan Jersch DIE LINKE: Begeistertes Murmeln im Hintergrund, ich bin zu­frieden.

(Beifall bei Heike Sudmann DIE LINKE)

Ich möchte doch noch einmal auf ein paar Sachen eingehen, bevor hier Falschheiten im Raum stehen­ bleiben. Nein, wir sind nicht die Einzigen mit dieser Position in der Stadt. Wir haben viele fleißige Kräfte in Hamburg, die  sich um Klima und Umweltschutz sorgen und auch an diesem Antrag mitgeschrieben haben.

(Michael Kruse FDP: Sagen Sie mal die Na­men!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Kontakte, die Ihnen anscheinend mittlerweile in diesem Haus fehlen.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Kruse FDP: Dafür haben wir mehr Realitätskon­takt!)

Und um es noch einmal deutlich zu sagen, weil im­mer auf diesen Nebenkriegsschauplatz abgelenkt wird: Es geht hier weder um Nord noch um Süd, es geht um Klimaschutz, und das hat an dieser Stelle überhaupt nichts damit tun.

Herr Kruse, wenn die Moorburg-Trasse damals nicht verhindert worden wäre, dann wäre wahr­scheinlich Vattenfall heute noch Eigentümerin des Wärme- und des Stromnetzes und dann hätten wir ein Moorburg-Kraftwerk, das dieses Fernwärme­netz in Hamburg versorgt. Infolgedessen war das damals ein guter, ein richtiger Kampf, die Trasse an dieser Stelle zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Kruse FDP: Die neue wollen Sie auch verhindern!)

Frau Schaal, ich glaube, Opposition ist auch etwas Wichtiges in der Demokratie.

(Dr. Monika Schaal SPD: Ja, aber das sollte zu etwas führen!)

Sie bringt sich ein mit Vorstellungen und verweist vor allen Dingen auf die Lücken, die die Regierung in ihrer Arbeit für die Gesellschaft zurücklässt. Und da ist unsere Rolle im Moment, denn es ist wichtig, dass diese Regierung weiterhin darauf hingewiesen wird, was Hamburg fehlt und was wir dazu beitra­gen können. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)