Debatte zur Weiterentwicklung des Umweltleitfadens in der öffentlichen Beschaffung

An der Debatte am 14. Februar 2024 über einen Antrag zur Weiterentwicklung des Umweltleitfadens für die öffentliche Beschaffung beteiligte sich für die Hamburger Linksfraktion auch der Abgeordnete Stephan Jersch.

  • Der Antrag zur "Weiterentwicklung des Umweltleitfadens in der öffentlichen Beschaffung" ist hier als Drucksache 22/14275 (PDF) online.
  • Foto: Michael Zapf, Bürgerschaft Hamburg

Die Rede von Stephan zu diesem Punkt ist hier als Video online. Die Debatte ist hier als Video in ganzer Länge online.

Weiterentwicklung des Umweltleitfadens in der
öffentlichen Beschaffung

Stephan Jersch DIE LINKE:
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Wei-
terentwicklung des Umweltleitfadens ist eigentlich
wichtig, aber schon lange überfällig. Unverständ-
lich, wie sich Rot-Grün hier zwischen Gefahren-
feststellung und Prokrastination, dem Vermeiden,
Verschieben von zwangsläufigen Konsequenzen,
durcheiert. PFAS, um dann auf das schöne Beispiel
zu kommen – oder das weniger schöne Beispiel –,
sind hochtoxisch, aber haben eine hohe Persistenz
und reichern sich in der Nahrungskette so lange an,
dass von Ewigkeitschemikalien gesprochen wird.
Die Kollegin Sparr hat das schon erwähnt. Bei
20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in einer
Studie wurde PFAS bereits im Blut nachgewiesen.
Die Folgen können Schilddrüsenerkrankungen und
Krebs sein.

Nein, diese Koalition hat die Thematik der Gefahren
für Menschen und Natur aus chemischen Verbin-
dungen nicht bereits früh erkannt. Und wenn, dann
haben Sie es in bewundernswerter Weise verheim-
lichen können. Aber Ihre Früherkennungsbehaup-
tung steht direkt hinter dem Absatz der Unabding-
barkeit vieler chemischer Stoffe für die Produktion
wichtiger Güter. Letzteres mag die FHH frühzeitig
erkannt haben, oder es wurde ihr auch nur frühzei-
tig aus Leverkusen übermittelt, aber es ist ganz die
in Hamburg gelebte Nachhaltigkeit: Ökonomie vor
Ökologie. Im Senatsdeutsch: Es muss sich rech-
nen. Ein gutes Beispiel dafür ist natürlich auch der
von mir in einer Anfrage einmal thematisierte Ver-
zehrhinweis für Flussfische. 2018 hat die Europäi-
sche Behörde für Lebensmittelsicherheit eine neue
Risikoeinschätzung für PFAS veröffentlicht. 2020
hat das Land Niedersachsen vor dem regelmäßi-
gen Verzehr von Flussfischen gewarnt, als Konse-
quenz auf diese Risikoeinschätzung. Und wie hat
Hamburg reagiert? Gar nicht. Oder noch besser:

Die bestehenden Verzehrhinweise wurden komplett
aus dem Netz genommen. Der Senat stellte auf
meine Anfrage fest – und ich glaube, das ist wenig
verwunderlich –, dass die Schadstoffbelastung auf
der niedersächsischen Seite der Elbe mit der auf
der hamburgischen Seite der Elbe vergleichbar sei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Nichthan-
deln über vier Jahre ist ein eklatanter Pfusch und
ein gesundheitsgefährdender Pfusch dieser Regie-
rung.
(Beifall bei der LINKEN)

Über dieses Nichthandeln kann man in der Tat
nur den Kopf schütteln, aber dem selbsternannten
Streetfishing-Hotspot Europa steht eine Warnung
vor den eigenen Fischen wohl sehr schlecht zu Ge-
sicht. Das "früh erkannt" ist durch nichts begründet.
Aufgrund der Faktenlage ist Hamburg hier mindes-
tens vier Jahre zu spät dran. Dieser Schongang-
Antrag wirft viele Fragen auf, insbesondere über
das hier festzustellende Wachkoma in den letzten
Jahren dieser Koalition. Welche Prüfung ist denn
überhaupt noch notwendig? Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es sofort, unverzüglich, subito.
(Beifall bei der LINKEN – Glocke)

Stephan Jersch DIE LINKE:
Aber gern.

Stephan Jersch DIE LINKE (fortfahrend):
Ja, natürlich. Wir reden hier von einem Gefahren-
stoff, den Sie selbst als Ewigkeitschemikalie be-
zeichnet haben, den Sie in der Lyrik dieses Antrags
mit aufgeführt haben als einen der Gründe, warum
diese Beschaffungsrichtlinien geändert werden sol-
len. Insofern denke ich mir, dass wir hier eine ganz
direkte Verbindung haben. Denn wer vor einem
Verzehr dieser Chemikalie, die Sie als Begründung
für die Einschränkung des Beschaffungsleitfadens
anführen, nicht warnt, der ist doch irgendwo inkon-
sequent in seinem Handeln, und zwar über mindes-
tens vier Jahre inkonsequent.
(Beifall bei der LINKEN)

Die Relativierung ist in dieser Koalition der gemein-
same Nenner, und was Sie praxisgerechte und
handhabbare Vorgaben nennen, das müsste auch
noch einmal ausformuliert werden. Im Regelfall sind
in dieser Koalition solche Formulierungen Notaus-
gänge, um sich am Ende nicht wirklich daran hal-
ten zu müssen. Es fehlt der Hinweis, ob im glei-
chen Atemzug auch die Vorgaben des Leitfadens
zu den vertretbaren Mehrkosten bei der Beschaf-
fung als Bedingung für dessen Einhalt angepasst
werden sollen. Auch das wäre ein wichtiges Kriteri-
um, um die Wirksamkeit eines dann überarbeiteten
Beschaffungsleitfadens wirklich zu beurteilen.
(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum muss denn
überhaupt erst geprüft werden, ob die Ergebnisse
der von Ihnen initiierten Untersuchung den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern zugänglich gemacht
werden sollen? Das geht gar nicht als Einschrän-
kung. Natürlich gehören die in die Öffentlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN)

Und eine weitere Frage: Die Überarbeitung des
Umweltleitfadens war eigentlich für 2022 angekün-
digt. Da sind wir jetzt schon ein bisschen spät
dran. Selbst wenn Sie ihn grundlegend neu zu ei-
nem Nachhaltigkeitsleitfaden überarbeiten, hätte da
schon einiges passieren müssen. Es ist zu spät.
Die Gesundheitsrisiken sind bis hierhin in Kauf ge-
nommen worden. Die Ökonomie wurde erneut vor
die Ökologie gestellt, und das ist eine wirklich gru-
selige Leistung. Es steht nichts in Ihrem Antrag,
über das man wirklich abstimmen müsste. Der Kol-
lege Kappe hat es letztendlich so auch schon be-
nannt. – Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)