SKA: Luftreinhalteplan und Öffentlichkeitsbeteiligung

Stephan Jersch

"Die Luftreinhaltung zum Schutz der menschlichen Gesundheit ... stellt ein sehr gewichtiges, aber kein absolutes, Vorrang vor allen anderen Interessen (und staatlichen Aufgaben) genießendes Ziel dar." Vor diesem Hintergrund versucht der Senat zu erklären, warum er es meinte verantworten zu können, die 2. Fortschreibung des LRP festlegen zu können, noch bevor das vollständige Immissions-Gutachten vorliegt, und warum er zahlreiche Einwendungen zu Gunsten "anderer Interessen" meinte vernachlässigen zu können.

25. Juli 2017

Schriftliche Kleine Anfrage

der Abgeordneten Heike Sudmann und Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 17.07.2017

und Antwort des Senats

- Drucksache 21/9850 -


Betr.: Luftreinhalteplan und Öffentlichkeitsbeteiligung

Vom 08.05.2017 bis zum 23.06.2017 war es Hamburgerinnen und Hamburgern möglich, Stellungnahmen zur 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg abzugeben. Nach Angaben der Behörde für Umwelt und Energie sollen in diesem Zeitraum 178 Stellungnahmen von Privatpersonen, Verbänden und Institutionen eingegangen sein.

Am 30.05.2017, und damit sieben Tage nach Ablauf der Einwendungsfrist, wurde die abschließende Fassung der 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg durch den Senat beschlossen. Nach Angabe der Behörde für Umwelt und Energie sollen hierbei die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung „angemessen“ berücksichtigt worden sein.

Der Öffentlichkeit sind die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Abwägungsgründe für die Berücksichtigung von Stellungnahmen beziehungsweise deren Nicht-Berücksichtigung bis zum 17.07.2017 in den Räumen der Behörde für Umwelt und Energie zugänglich. Dies jedoch nur während der Kernzeiten von 8 bis 15 Uhr. Eine bürgerfreundliche Veröffentlichung der Stellungnahmen sowie der Ergebnisse und Abwägungsgründe im Internet erfolgte bislang hingegen nicht.

Darüber hinaus widersprechen sich Aussagen im Luftreinhalteplan und den Abwägungen eklatant. So heißt es zum Beispiel im Luftreinhalteplan auf den Seiten 114/115:

Allgemeingültige Aussagen zu Auswirkungen eines Tempolimits von 30 km/h im Vergleich zu Tempo 50 hinsichtlich der emittierten Luftschadstoffe lassen sich in der Praxis kaum treffen. In Abhängigkeit von spezifischen lokalen Rahmenbedingungen wie z. B. Straßenneigung, Verkehrsbelastung und -zusammensetzung, Verflüssigungsgrad und tatsächlich gefahrene Geschwin-digkeiten sind grundsätzlich sowohl Minderungen als auch Erhöhungen der Stickoxidbelastung möglich.“

Auf Seite 5 der Abwägungen wiederum heißt es unter Punkt 9:

Um die Eignung der Absenkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zur Verbesserung der NO2-Situation in Hamburg zu prüfen, wurde exemplarisch an der Max-Brauer-Allee die Wirkung von Tempo 30 und Tempo 40 untersucht. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich die Immissionssituation an der Luftmessstation durch diese Maßnahme nicht verbessern würde (vgl. LRP, Kap. 7.2.1.3.2). Diese Maßnahme wurde daher im Zuge der Prüfung weiterer Straßen nicht berücksichtigt.“

Entsprechend wurden im Rahmen der senatseitigen Luftreinhalteplanung die Möglichkeiten von Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht weiter geprüft, obwohl dies dem Luftreinhalteplan zufolge nötig gewesen wäre.

Einwenderinnen und Einwender, die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eine entsprechende Prüfung lokaler Maßnahmen einforderten und außerdem darum baten, dass solche Maßnahmen genutzt werden, um mögliche Grenzwertüberschreitungen „bereits vor dem Jahr 2020 abzustellen“, wurde wie folgt geantwortet: „An der genannten Straße sind in 2020 keine Anwohner von prognostischen Grenzwertüberschreitungen betroffen.“ Auch hier wurden entsprechende Maßnahmen somit nicht einzelfallbezogen und im Sinne der Einwendungen, die ausdrücklich darauf verwiesen haben, dass mögliche Überschreitungen vor dem Jahr 2020 zu beenden sind, geprüft.

Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die zugrunde liegenden Immissions- und Emissionsgutachten der Öffentlichkeit bislang nicht zugänglich gemacht wurden, sodass der Öffentlichkeit immer noch unklar ist, an welchen Straßenabschnitten in Hamburg Grenzwerte – auch vor dem Jahr 2020 – überhaupt überschritten werden.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

Die für Immissionsschutz zuständige Behörde hat gemäß § 47 BImSchG einen Luftreinhalteplan zu erstellen, wenn die in der 39. BImSchV festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden. In Hamburg wird an den verkehrsnahen Luftmessstationen der Jahresmittelwert für NO2 überschritten. Der Luftreinhalteplan für Hamburg (2. Fortschreibung) sieht demzufolge lediglich Maßnahmen vor, die der Rückführung der verkehrsnahen NO2-Belastung dienen.

In den Straßenabschnitten, in denen trotz Umsetzung der Maßnahmenpakete 1 bis 10 gemäß Modellierung noch in 2020 eine Überschreitung des Grenzwertes prognostiziert wird, wurden zusätzliche Einzelmaßnahmen geprüft und nach Abwägung festgesetzt. Straßenabschnitte, für die keine Überschreitung des Grenzwertes prognostiziert wurde, wurden nicht gesondert betrachtet.

Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung so kurz wie möglich zu halten. Bei der Auswahl der Maßnahmen, die in den Luftreinhalteplan aufzunehmen sind, sind auch entgegenstehende Interessen zu berücksichtigen, soweit mit den zu planenden Maßnahmen in Rechte Dritter eingegriffen werden kann. Die Beschränkung auf das Mögliche bedeutet in gleicher Weise aber auch, dass die Behörde bei der Planung von Luftreinhaltemaßnahmen entgegenstehende öffentliche Interessen zu berücksichtigen hat. Die Luftreinhaltung zum Schutz der menschlichen Gesundheit (§ 3 Abs. 2 der 39. BImSchV) stellt ein sehr gewichtiges, aber kein absolutes, Vorrang vor allen anderen Interessen (und staatlichen Aufgaben) genießendes Ziel dar (s.a. VG Hamburg, 9 K 1280/13, Urt. v. 5.11.2014, Rn. 33).

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:

1. Wieso wurden seitens der zuständigen Senatsbehörden für Straßen, an denen laut Luftreinhalteplan auch im Jahr 2020 noch Grenzwerte überschritten werden – hierbei insbesondere die Habichtstraße, für die sich dem Plan zufolge alle anderen lokal wirksamen Maßnahmen als unangemessen erwiesen haben –, über die Max-Brauer-Allee hinaus, keine Einzelfallprüfungen bezüglich Tempo 30/40 vorgenommen?

Die Untersuchung zur immissionsseitigen Wirkung der Absenkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Tempo 50 auf Tempo 30/40 erfolgte an der Max-Brauer-Allee exemplarisch. Die maßgeblichen Parameter, die in diesem Zusammenhang die NO2-Immissionen beeinflussen, sind die Längsneigung und die Verkehrsqualität. Die Neigungsverhältnisse wie auch die Verkehrsqualitätsstufen bewegen sich an anderen, von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Abschnitten, in ähnlichen Größenordnungen. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Ergebnisse der Untersuchung an der Max-Brauer-Allee auf die anderen Strecken übertragbar sind.

2. In wie vielen Stellungnahmen wurden die Behörden von Anwohnerinnen und Anwohnern darum gebeten, lokal wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung, wie Tempo 30/40 oder Durchfahrtsbeschränkungen, für ihre jeweiligen Wohnstraßen zu prüfen (bitte Anzahl angeben)?

In 69 Stellungnahmen.

3. Um welche Straßen handelt es sich bei Nummer 2. (bitte Bezirk und Straßennamen angeben)?

4. Wie hoch ist die Gesamtbelastung an den unter Nummern 2. und 3.
genannten Straßen am Wohnort derjenigen Personen, die eine entsprechende Stellungnahme abgegeben haben, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, bezogen auf (bitte Werte angeben):

a. Stickstoffdioxid (NO2),

b. Feinstaub (PM10),

c. Feinstaub (PM2,5)?

5. Wie hoch ist die lokale Hintergrundbelastung an den unter Nummern 2. und 3. genannten Straßenabschnitten, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, bezogen auf NO2, PM10, PM2,5 (absolut und in Prozent)?

6. Wie hoch ist die zusätzliche Belastung durch den lokalen Verkehr an den unter Nummer 2. und 3. genannten Straßenabschnitten, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, bezogen auf NO2, PM10, PM2,5 (absolut und in Prozent)?

Das vollständige Immissions-Gutachten wird derzeit fertig gestellt, siehe dazu auch Drs. 21/8535. Die für die Bearbeitung der Einwendungen ausgewiesenen Einzeldaten sind in Anlage 1 gelistet.

Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

7. Wie hoch ist die Gesamtbelastung an den unter Nummern 2. und 3.  genannten Straßen am Wohnort derjenigen Personen, die eine entsprechende Stellungnahme abgegeben haben, nach der Prognose aus dem Jahr 2011 für das Jahr 2015 „Berechnung Kfz-bedingter Schadstoffemissionen und Immission in Hamburg – Prognose 2015“ für das Jahr 2015 im Nullfall, ohne Maßnahmen, bezogen auf (bitte Werte angeben):

a. Stickstoffdioxid (NO2),

b. Feinstaub (PM10),

c. Feinstaub (PM2,5)?

Siehe http://www.hamburg.de/luftreinhaltung/2892796/gutachten-luftreinhaltung/ .

8. Für welche der unter Nummern 2. und 3. genannten Straßen wurde die Wirksamkeit lokal wirksamer Maßnahmen, wie Tempo 30 oder Durchfahrtsverbote, infolge der Stellungnahme durch die Behörden, analog zu Punkt 7.2 der 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg,
geprüft (bitte auch vermerken, ob lokale Maßnahmen jeweils gutachterlich geprüft wurden)?

Über die im Luftreinhalteplan (2. Fortschreibung) dargestellten Prüfungen hinaus: Keine.

Im Übrigen siehe Vorbemerkung.4

9. Bislang sind die aktuellen Immissions- und Emissionsgutachten der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden. An welchen Straßenabschnitten in Hamburg werden, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, die folgenden Jahresmittelwerte (Gesamtbelastung) überschritten (bitte Bezirk, Straßennamen und Hausnummernbereich angeben)?

a. Stickstoffdioxid (NO2), 40 µg/m3

b. Feinstaub (PM10), 40 µg/m3

c. Feinstaub (PM2,5), 25 µg/m3

d. Feinstaub (PM2,5), 20 µg/m3 (Grenzwert ab 2020)

10. Welche Werte für NO2, PM10 und PM2,5 werden für die unter Nummer 9. genannten Straßenabschnitte jeweils für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, ermittelt?

11. Wie hoch ist die lokale Hintergrundbelastung an den unter Nummer 9. genannten Straßenabschnitten, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, bezogen auf NO2, PM10, PM2,5 (absolut und in Prozent)?

12. Wie hoch ist die zusätzliche Belastung durch den lokalen Verkehr an den unter Nummer 9. genannten Straßenabschnitten, nach den aktuell vorliegenden Immissions- und Emissionsgutachten für die Jahre 2014, 2020 und 2025 in den Basisszenarien, ohne Maßnahmen, bezogen auf NO2, PM10, PM2,5 (absolut und in Prozent)?

Siehe Antwort zu 3. bis 6. und Vorbemerkung.

13. Die aktuellen Berechnungen beruhen auf den HBEFA 3.2., die deutlich zu niedrige Stickoxidemissionswerte für Diesel-Pkw ansetzen. Laut Endfassung der 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg soll „eine gutachterliche Abschätzung der Auswirkungen der geänderten Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.3. erfolgen“. Wann wird diese
Abschätzung voraussichtlich vorliegen (bitte Monat und Jahr nennen)?

Der Auftrag für eine gutachterliche Nachberechnung wurde erteilt. Die Ergebnisse einschl. der fachlichen Bewertung sollen im September 2017 vorliegen.

14. In der Endfassung der 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg steht weiterhin: „Sollten aufgrund der gutachterlichen Nachberechnung neue Belastungsschwerpunkte identifiziert werden, die weitere Maßnahmen zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung erforderlich machen, wird der Luftreinhalteplan diesbezüglich im Rahmen einer 3. Fortschreibung überarbeitet werden.“ Wird bei einer solchen 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg wiederum eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden?

Falls nein: weshalb nicht?

Ja. Gemäß § 47 BImSchG ist die Öffentlichkeit bei der Aufstellung von Luftreinhalteplänen zu beteiligen.

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