Vattenfall hat sich als Partner der Stadt diskreditiert
Rede zur Regierungserklärung zum Rückkauf des Fernwärmenetzes am 17. Oktober 2018 in der Bürgerschaft.
Stephan Jersch DIE LINKE:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Hamburgerinnen und Hamburger! Heute ist tatsächlich ein guter Tag, der erste von mehreren guten Tagen, die wir haben werden, ein guter Tag für Hamburg, für die Hamburgerinnen und Hamburger und für das Klima, so viel vorab.
(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)
2013 haben sich über 50 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger für den Rückkauf der Energienetze ausgesprochen. Zuletzt gab es eine Umfrage, bei der sich 56 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger auch für den Rückkauf des Fernwärmenetzes unter den Konditionen des Mindestkaufpreises ausgesprochen haben. 72 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburgerfinden, dass es wichtig ist, dass die Energienetze in öffentlicher Hand sind.
100 Prozent von Vattenfall muss sich daran nicht halten und tut es auch sichtbar nicht. Und deswegen wurde es Zeit, jetzt endlich nach dem langen Zögern des Senats für den Rückkauf auch zu handeln.
(Beifall bei der LINKEN)
Öffentliche Infrastruktur der Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand, und auch wenn die öffentliche Hand als Besitzerin kein Allheilmittel ist, sie sichert demokratische Kontrolle, sie hat eine steuernde Wirkung für das Erreichen gesellschaftlicher Ziele. Es geht um mehr, und das wurde hier auch gesagt, als Rendite.
Wenn wir uns Stromnetz Hamburg - Herr Kruse wird das mit Sicherheit als abschreckendes Beispiel heute noch einmal aufführen
(Michael Kruse FDP; Warten Sie es ab!)
angucken, dann ist es in der Tat so, dass die Investitionen in die Energiewende, die jetzt von Stromnetz Hamburg getätigt werden, das Erbe der nicht erfolgten Investitionen von Vattenfall sind, die hier ihre Infrastruktur auf Verschleiß betrieben haben. Und genau das macht den Unterschied zwischen öffentlicher Hand mit Verantwortung für die Gesellschaft und dem privatwirtschaftlichen Betrieb von Infrastruktur aus.
(Beifall bei der LINKEN)
Mit dieser Entscheidung im Rücken kann Hamburg jetzt dazu übergehen, die Energiewende umzusetzen. Dank Vattenfall - und der Kollege Gamm hat es eben tatsächlich erwähnt, ich weiß gar nicht, wieso, es ist ja völlig absurd - ist Hamburg Kohlehauptstadt, sowohl bei der Stromerzeugung als auch bei der Wärmeerzeugung. Das ist im Sinne der Energiewende ein völlig unhaltbarer Zustand, der unter Vattenfall noch mehr als ein Jahrzehnt, und das sind die Minimalschätzungen, gedauert hätte. Hier musste schnell gehandelt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wenn wir uns die Industrieruine von Wedel angucken, ich habe mir die Zahlen beim Umweltbundesamt noch einmal angeschaut, dann sind in den vier Jahren, die gezögert und gezaudert wurde mit dem Rückkauf, tatsächlich emittiert worden: 6,5 Millionen Tonnen CO2 , 3200 Tonnen Schwefeldioxide, 4 500 Tonnen Stickoxide, mehr als 100 Kilogramm Arsen und mehr als 180 Kilogramm Quecksilber. Das ist das Erbe privatwirtschaftlicher Energieversorgung im Fernwärmebereich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dies ein Ende findet, ist das Mindeste, was die Hamburgerinnen und Hamburger und die Bewohnerinnen und Bewohner Wedels von uns verlangen können.
(Beifall bei der LINKEN und bei Hendrikje Blandow-Schlegel und Uwe Giffei, beide SPD)
Es wurde schon gesagt: Die Kosten der Energiewende, die Kosten der steigenden Kohlepreise würden zwangsläufig auf die Kundinnen und Kunden umgewälzt. Ich kann nicht verstehen, wieso die Koalition der Willigen von Vattenfall aus CDU und FDP tatsächlich davor die Augen verschließt. Das ist kurzsichtige Politik.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen begrüßen wir es, dass der Bürgermeister zugesichert hat, dass die Preise, die Endpreise für die Kundinnen und Kunden
(Zuruf von Thilo Kleibauer CDU)
der Fernwärme, stabil bleiben werden. Das ist der Anspruch einer sozialen Umsetzung des Volksentscheids.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Thilo Kleibauer CDU)
Und einmal ganz davon abgesehen, dass es ein Fehler war, den Rückkauf so lange auf die lange Bank zu schieben: Das hat einen vierjährigen schweren Schaden am Klima, sowohl am Demokratieklima in der Stadt als auch am Klima an sich, herbeigeführt, und das muss sich allerdings die Regierungskoalition Vorhalten lassen. Das hätte deutlich schneller gehen müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir sehen, welchen Schaden das Zaudern bis heute für die Energiepolitik in Hamburg gebracht hat, dann wäre es eine Katastrophe gewesen, Vattenfall als Mitanteilseigner hier noch weiter im Boot zu belassen. Das ist ein völlig unhaltbarer Gedanke, denn Vattenfall hat uns im gesamten Beurteilungsprozess die entscheidenden Geschäftsdaten nicht zugänglich gemacht und sie weiterhin verheimlicht.
(Michael Kruse FDP: Den LINKEN, oder was? Haben Sie angefragt?)
- Ja, im Energienetzbeirat wurde angefragt, Herr Kruse. Da hätten Sie dann vielleicht auch einmal öfter sein müssen.
(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Monika Schaal SPD - Michael Kruse FDP: Wir haben ein Aktenvorlageersuchen eingebracht, Sie haben das nicht getan!)
Es ist öfter nach den Geschäftsdaten, die Basisgrundlage für das Vattenfall-eigene Bewertungsgutachten waren, gefragt worden. Die sind uns verweigert worden und dementsprechend konnten wir nur indirekt darauf Rückschlüsse ziehen. Diese verheimlichten Daten haben es auch ganz klar gemacht, dass eine Energiepolitik, eine Energieplanung im Sinne des Volksentscheids mit Vattenfall als Partner völlig unmöglich gewesen wäre. Vattenfall hat sich, der Kollege Tjarks hat es erwähnt, sichtbar gegen die Umsetzung des Rückkaufs gestemmt. Ich denke, so viel Ignoranz gegen einen geschlossenen Vertrag ist nicht nur unhanseatisch, es gehört sich schlicht und ergreifend nicht. Vattenfall hat sich als Partner diskreditiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir uns dann auch noch einmal die schlimmsten Auswüchse von Vattenfall anschauen, insbesondere mit dem Kohleheizkraftwerk Wedel, dann wissen wir, was uns bevorstehen würde, würde dieser Konzern weiter eine Rolle in Hamburg spielen. Denn er erklärt die Schadstoffemission von Wedel zum technischen Stand der Dinge. Und wenn man die Bewohnerinnen und Bewohner von Wedel befragt über die ätzenden Partikelniederschläge, die sie immer wieder rund um Wedel auf ihren Motorhauben finden,
(Michael Kruse FDP: Dann kritisieren Sie die Verlängerung doch, die der Senat jetzt gerade damit macht! Kritisieren Sie es doch!)
dann weiß man, welche Geringschätzung dieser Konzern gegenüber der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner letztendlich an den Tag legt.
Noch einmal zum Kaufpreis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist uns das Klima denn eigentlich wert? Genau das, was es Donald Trump wert ist, nämlich nichts? Ich glaube, das kann nicht wirklich das Ziel der ganzen Sache sein. Wenn ich den einen oder anderen Vorschlag aus der Koalition der Willigen dazu vernehme, dann kann ich nur sagen: Mit Mooswänden werden wir die Klimakatastrophe nicht steuern können.
(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Monika Schaal SPD)
Da haben wir jetzt, mit dem Fernwärmenetz in unserer Hand, in der Hand der Bürgerinnen und Bürger der Stadt, ein ganz anderes Werkzeug parat.
Was ist uns letztendlich die gesellschaftliche Notwendigkeit wirklich wert? Die Rettung des Klimas unter die Herrschaft der Rendite zu stellen, so wie Sie das wollen? Ich glaube, da sind die meisten Bürgerinnen und Bürger schon deutlich weiter und Sie vertreten hier wirklich nur noch Partikularinteressen.
(Beifall bei der LINKEN - Heike Sudmann DIE LINKE: Fossile Politik! - Dr. Monika Schaal SPD: Sie vertreten sich selber!)
Letztendlich müssen Sie sich entscheiden, was Ihnen wichtiger ist, der Sektempfang bei Vattenfall oder die Energiewende im Sinne der Zukunft für alle Hamburgerinnen und Hamburger und darüber hinaus.
Und was sind uns Arbeitsplätze und Preisstabilität eigentlich wert? Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Vattenfall mit Arbeitsplätzen macht, wissen wir in der Zentralverwaltung von Vattenfall: Die sind nicht besonders viel wert. Ich denke, in öffentlicher Hand wird das ganz anders aussehen.
Als Linker, muss ich sagen, hat es schon erheblich geschmerzt, den Verkauf der HEW an Vattenfall mit zu betrachten. Aber es schmerzt noch viel mehr, wie Sie mit dem Klima dieser Welt spielen. Es ist wirklich widerlich. Anders kann ich es nicht sagen.
(Beifall bei der LINKEN - Michael Kruse FDP: Ich hab' Schmerztabletten dabei, Herr Jersch!)
Wenn wir jetzt mit dem Rückkauf, wenn er denn so kommt, und davon gehe ich angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Parlament aus, den nächsten Schritt gehen, dann heißt es auch, die Ergebnisse dieses Rückkaufs für eine Energiewende zu sichern, und das heißt für mich auch, wenn ich hier die Redebeiträge der Regierungskoalition höre:
Es führt kein Weg daran vorbei, die Volksinitiative "Tschüss Kohle" in diesem Parlament zu übernehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es muss ein Ausbau der demokratischen Kontrolle dieser Institution erfolgen. Das heißt auch, eine Stärkung des Energienetzbeirats mit seinen Möglichkeiten.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wir werden mit Sicherheit in nächster Zeit auch noch einmal erheblich über die Fernwärmetrasse unter der Elbe diskutieren müssen, denn ohne eine Absicherung und einer Koalition der Willigen in der Politik in der Hinterhand, ohne diese Absicherung könnte auch, solange Vattenfall dieses Gruselkraftwerk in Moorburg betreibt, in der Tat damit noch kontraproduktiv gegen die Energiewende gearbeitet werden.
In diesem Sinne wünsche ich allen Hamburgerinnen und Hamburgern viel Glück bei der Energiewende, und vor allen Dingen, dass Sie mit Ihrer Position in dieser Stadt nichts zu sagen haben werden. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)