SKA: Wird die Nord-Variante für den Ersatz des HKW Wedel gleichrangig mit der Nord-Süd-Variante behandelt?

Stephan Jersch

Diese Antwort (oder Reaktion?) des Senats auf klare Fragen zum Ersatz des maroden Kohlekraftwerks Wedel lässt vor allem einen Schluss zu: Hamburgs Regierung weiß auch noch nicht so genau, wohin die Reise gehen sollte, und verschanzt sich zur Not hinter »Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen«.

6. Juni 2017

Schriftliche Kleine Anfrage

des Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 29.05.17

und Antwort des Senats

- Drucksache 21/9237-

Betr.: Wird die Nord-Variante für den Ersatz des HKW Wedel gleichrangig mit der Nord-Süd-Variante behandelt?

Der Vertreter der Behörde für Umwelt und Energie (BUE) erläuterte im Energienetzbeirat (ENB) am 23.3.2017 die „Projektstruktur“ für die weitere Planung des Ersatzes des Heizkraftwerks (HKW) Wedel. Nach einem „Grob-Terminplan 2017“ sollen bis zum 1.11.2017 die Voraussetzungen für Investitionsentscheidungen erarbeitet werden.

Nach dieser Projektstruktur ist das Unternehmen Vattenfall Wärme Hamburg (VWH) zuständig für „Systemintegration und Leitungsbau Süd und Nord“ sowie „Gasvarianten Standort offen sowie Power to heat“.

Gemäß dem Protokoll zu TOP 8 der ENB-Sitzung am 23.3.2017 gab der Vertreter der BUE an:

Sowohl die für die Nord-Süd-Variante als auch die für die Nord-Variante
benannten Module sollen im Rahmen des Projekts auf gleichem Niveau konkretisiert und durchgerechnet werden. Insoweit handelt es sich um einen ergebnisoffenen Prozess.“

Aus den einzelnen Teilprojekten sollen Daten entwickelt werden, die als Grundannahmen Eingang in die „Nullvariante“ finden. Dabei sollen zwei Nullvarianten – eine für die Nord- und eine für die Nord-Südvariante entwickelt werden.“

Senator Kerstan wies nach demselben Protokoll darauf hin, „dass auch wenn man sich im vergangenen Dezember auf die Nordvariante als Planvariante festgelegt hätte, die weitere Planung der entsprechenden Module nicht anders laufen würde, als es jetzt der Fall ist. Zusätzlich dazu wird nun aber auch die Planung für die Nord-Süd-Variante weitergeführt.“

Ich frage den Senat:

Bei dem Ersatz des Kraftwerks Wedel handelt es sich um einen komplexen Planungsprozess, dessen Ergebnis wirtschaftlich und ökologisch gleichermaßen verträglich sein muss.

Zu diesem Zweck werden das Nord- und Südszenario mit unterschiedlichen Modulen gleichrangig auf ihre Machbarkeit untersucht, um eine Entscheidung vorzubereiten. Sie wurden bereits im Energienetzbeirat vorgestellt. Einen Überblick über die Module liefert die nachfolgende Tabelle:

Nordszenario

Südszenario

Abfallwärme ZRE, Stellingen

ca. 60 MW

Abfallwärme ZRE, Stellingen

ca. 60 MW

Wärmepumpe Elbe, Wedel

ca. 80 MW

Abfallwärme MVR, Neuhof

ca. 80 MW

Biomasse/Stroh, Stellingen

ca. 73 MW

Wärmepumpe, Dradenau

ca. 80 MW

Gaslösung, Haferweg

ca.177 MW

Industrielle Abwärme, Süd

ca. 20 MW



Biomasse/Stroh, offen

ca. 73 MW



Gaslösung, Haferweg

ca. 77 MW

Der Umfang der zu errichtenden Gas-Lösung sowohl der Nord- als auch der Süd-Variante richtet sich nach der Versorgungslücke, die nach Prüfung der Erneuerbaren Potenziale sowie dem möglichen Anschluss vorhandener Wärmequellen (u.a. Abfallverwertung und industrielle Abwärme) verbleibt. Zusätzlich sind für beide Varianten der Einsatz einer Solarthermieanlage, eines Aquiferspeichers sowie einer Power-To-Heat-Anlage vorgesehen. Diese Module werden in den „Nullvarianten“ nicht betrachtet und fließen zu einem späteren Zeitpunkt in die Berechnungen ein.

Die Nullvarianten beschreiben die einzelnen Module der jeweiligen Szenarien in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nach dem aktuellen Planungsstand der einzelnen Module noch auf unterschiedlichem Niveau. Zu den wesentlichen Parametern zählen u.a. die Anlagenleistung, Laufzeiten, variable und fixe Kosten sowie Umweltfaktoren wie CO2-Emissionen, Luftschadstoffe und Lärm. Insbesondere die Systemintegration, aber auch die Planung der Teilmodule sind noch nicht abgeschlossen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen, teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Vattenfall Wärme Hamburg GmbH (VWH) und der Stadtreinigung Hamburg (SRH), wie folgt:

1. Liegen die Ausgestaltungen der beiden „Nullvarianten“ inzwischen vor?

a. Wenn ja: Wo sind sie einzusehen?

b. Wenn nein: Werden sie dem ENB zu seiner Sitzung am 30.6.2017 vorgelegt werden beziehungsweise bis wann wird ihre Vorlage erfolgen?

Ja, siehe Vorbemerkung. Es handelt sich dabei um einen Zwischenstand, im Rahmen der weiteren und konkreteren Planungen können sich Änderungen ergeben.

Der Energienetzbeirat wird im Rahmen der regelmäßigen Berichterstattung zum Thema „Ersatzlösung Wedel“ in geeigneter Weise informiert. Die Berichtstiefe ist begrenzt, da es sich im laufenden Planungs- und Entscheidungsprozess des Senats bei einem Großteil der Angaben um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen handelt.

2. Welche genauen Trassenführungen werden für die Fernwärmetrasse von Bahrenfeld zur MVR Rugenberger Damm und für die Fernwärmetrasse zum Standort Stellingen geplant?

a. Bitte alle Varianten mit ihren Trassenführungen angeben.

b. Welche Leitungsquerschnitte und welche Wärmeübertragungs-Leistungen werden für diese Trassen geplant?

c. Bis zu welchem Zeitpunkt sollen die Planungen der Trassenführungen und auf diese abgestimmte Kostenschätzungen vorliegen?

d. Mit welchen Bauzeiten wird bei den verschiedenen Varianten gerechnet?

Die VWH wurde mit AR-Beschluss vom 16. Dezember 2016 beauftragt, die oben genannten Trassen zu planen und die entsprechenden Antragsverfahren zur Erlangung der erforderlichen Genehmigungen zu beginnen.

Mit den technischen Planungen und der Genehmigungsplanung wurde begonnen.

Genaue Details hinsichtlich Trassenführung und technischer Spezifikationen der Leitungen sowie Kostenschätzungen sollen bis Ende des Jahres vorliegen. Laut VWH wird eine Bauzeit von zwei bis zweieinhalb Jahren erwartet.

3. Welche neuen Strom- und Gasleitungen werden für den Standort Stellingen geplant? Bitte dabei auch die jeweiligen Übertragungsleistungen, Anknüpfungspunkte und Kosten angeben.

Keine.

4. Dem Energienetzbeirat wurde von Dr. Aschhoff, Zentrum für Ressourcen und Energie Stellingen (ZRE), am 1.9.2016 berichtet, dass das ZRE bis zu 109 MW thermischer und bis 39 MW elektrischer Leistung bereitstellen könne (Grundaufgaben und Optionen). Nach unbestätigten Informationen soll inzwischen nur noch mit einer thermischen Leistung von weniger als 40 MW geplant werden. Sind diese Informationen zutreffend?

Die in der Fragestellung genannte Aussage bezog sich auf die ursprüngliche Planung, die zunächst den Aufbau von gasbetriebenen Motoren vorsah.

Im Übrigen siehe auch Antwort zu 4.c.

Wenn ja:

     a) Welches sind die Gründe für die Verringerung der geplanten thermischen Leistung? Bitte ausführlich und nachvollziehbar darstellen.

     b) Durch welche Restriktionen wird der Ausbau des ZRE gegenüber dem am 1.9.2016 vorgesehenen Umfang beschränkt?

m Rahmen der Erarbeitung des Gesamtkonzepts werden gasbetriebenen Erzeugungsanlagen nach Maßgabe der nach Prüfung der Potentiale von Erneuerbaren Energien und Abwärme verbleibenden Versorgungslücke betrachtet.

Wenn nein:

     c) Mit wie viel thermischer und wie viel elektrischer Leistung wird jetzt konkret geplant?

Die Erzeugung von thermischer und elektrischer Leistung soll flexibel und abhängig vom jeweiligen Bedarf möglich sein.

Die SRH plant mit einer maximalen Fernwärmeleistung von 69 Megawatt (MW) (korrespondierend mit einer elektrischen Energieproduktion von 8,4 MW) resp. einer maximalen elektrischen Energieerzeugung von 19,5 MW (korrespondierend mit einer Wärmeleistung von 10 MW).

5. Welche KWK-Anlagen mit welchen Leistungen werden noch für das ZRE geplant?

Keine.

     a) Falls weitere KWK-Anlagen geplant werden, werden dann trotz der Ausschreibungsgrenze von 50 MW für KWK-Zuschläge weitere KWK-Zuschläge eingeplant?

Entfällt.

b) Falls keine weiteren KWK-Anlagen geplant werden, aus welchen Gründen?

Siehe Antwort zu 4.b.

6. Hauptbestandteil der Nord-Variante waren im „BUE-Szenario (große Lösung)“ 13 Gasmotoren mit insgesamt 126 MW thermischer und 126 MW elektrischer Leistung am Standort Stellingen. Als Betreiber von zehn dieser Gasmotoren war HW/HE vorgesehen.

a. Welche KWK-Anlagen werden jetzt als Bestandteile der Nord-Variante mit welchen Leistungen, an welchen Standorten und von welchen Projektierenden geplant?

Die in der Vorbemerkung dargestellte Gaslösung am Haferweg wird von VWH als Kombination aus Gas-KWK und Gas-Kesselanlagen geplant. Angaben zur Leistung der KWK-Anlage liegen der zuständigen Behörde noch nicht vor.

     b. Wird, ähnlich wie in Kiel, ein großer Wärmespeicher als Voraussetzung für eine ökonomische Lösung geplant? Welcher Standort und welche Wärmekapazität sind dann dafür vorgesehen?

Grundsätzlich ja. Der vorgesehene Standort und die vorgesehene Wärmekapazität liegen der zuständigen Behörde noch nicht vor.

        c. Wird die Planung der Nord-Variante so durchgeführt, dass die zeitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von KWK-Zuschlägen eingehalten werden können?

Grundsätzlich ja. Eine Inbetriebnahme bis 2022 wird angestrebt.

7. § 12 der 13. Bundes-Immissionsschutzverordnung (13. BImSchV) lautet: „Der Betreiber hat bei der Errichtung oder der wesentlichen Änderung einer Anlage Maßnahmen zur Kraft-Wärme-Kopplung durchzuführen, es sei denn, dies ist technisch nicht möglich oder unverhältnismäßig.“ Bei welchen der für die Ersatzlösung Wedel geplanten Anlagen wird keine KWK vorgesehen und mit welcher Begründung jeweils?

Die 13. BImSchV bezieht sich auf Feuerungsanlagen. Betreffend der neu zu errichtenden Anlagen kann sich die Frage daher nur auf Gas-Kesselanlagen beziehen. Insofern siehe Antwort zu 6.a.

8. Nach Andeutungen des Vertreters der BUE beim ENB am 11.5.2017 sind am Standort Haferweg für die neue „Gas-Infrastruktur“ keine Flächen mehr vorhanden, da die bisher vorgesehene Fläche nahe dem zukünftigen Fernbahnhof Diebsteich aus Gründen der Stadtentwicklung für andere, mit der Planung des Fernbahnhofs zusammenhängende Zwecke beansprucht wird.

Die erforderlichen Flächen stehen am Haferweg grundsätzlich zur Verfügung. Vertreter der BUE haben im Energienetzbeirat am 11. Mai 2017 lediglich darauf hingewiesen, dass es zu Zielkonflikten am Standort Haferweg mit Maßnahmen der Stadtentwicklung kommen kann, die mit der Planung des Fernbahnhofs am Diebsteich im Zusammenhang stehen. Diese möglichen Zielkonflikte werden im Rahmen der städtebaulichen Planungen berücksichtigt.

 

a. Welche Standorte werden gegenwärtig in den Planungen für die „Gas-Infrastruktur“ der beiden Varianten vorgesehen?

b. Wie groß sind die zur jeweiligen „Gas-Infrastruktur“ der beiden Varianten zählenden elektrischen und thermischen Leistungen?

c. Wie groß ist jeweils der KWK-Anteil an diesen „Gas-Infra-strukturen“?

Siehe Vorbemerkung sowie Antworten zu 6.a. und b.

  1. Welche Vorteile sprechen für eine Gasturbinenlösung anstelle einer Gasmotorenlösung (wie vom Vertreter der BUE am 11.5.2017 referiert)? Bitte ausführlich darstellen und die vorangehende Frage beachten.

Entsprechend der jeweiligen Einsatzparameter bieten Gasturbinen ab einer bestimmten Größe wirtschaftliche Vorteile. Sie sind kostengünstiger und weniger wartungsintensiv.

9. HIC hat in seinem Gutachten ein Stroh-Heizwerk am Standort Stellingen vorgeschlagen, da dieser Standort niedrigere Transportkosten verursachen würde als ein Standort Wedel.

a. Welcher Standort und welche Leistung werden gegenwärtig für eine „multivalente“ Anlage dieser Art geplant?

Siehe Vorbemerkung.

b. Falls nur noch eine entsprechende Anlage südlich der Elbe geplant wird, aus welchen Gründen? Bitte ausführlich begründen.

Entfällt.

10. Der Vertreter der BUE führte am 23.3.2017 aus: „Im Rahmen der EE-Potenzialanalyse wurde im Hinblick auf solarthermische Anlagen auch das Hamburger Stadtgebiet nördlich der Elbe betrachtet. Potenzialflächen in der erforderlichen Größe konnten dort aber nicht identifiziert werden.“ Daraufhin wurden von NGO-Vertretern Potenzialflächen nahe am Standort Stellingen gefunden und vorgeschlagen (unter anderem Parkpatz-Überdachungen und A7-Deckel), die insgesamt etwa doppelt so groß sind wie die vom Hamburg Institut in Altenwerder vorgeschlagenen Flächen. Weshalb sollen diese zur Nord-Variante zählenden Potenziale nicht mehr in die Projektierung einbezogen werden, wie Senator Kerstan am 11.5.2017 angab?

Die Wärmebeiträge, die von einer Solarthermieanlage geleistet werden können, sind relativ gering. Deshalb werden sie für beide Szenarien in den „Nullvarianten“ nicht betrachtet (Siehe dazu auch Vorbemerkung).

Die Flächenfindung (auch für beide Szenarien) ist auf Grund der hohen Flächenkonkurrenz noch nicht abgeschlossen.

Die theoretisch nutzbaren Flächen des A7 Deckels stehen aufgrund der vom Senat und den bezirklichen Gremien beschlossenen Planungen (Verlagerung von Kleingärten und Errichtung von öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen) nicht zur Verfügung.

11. Welche Power-to-Heat-Anlagen mit welchen Leistungen werden als Bestandteile der Nord-Variante beziehungsweise der Nord-Süd-Variante geplant?

a. Ist die Anlage Karoline Bestandteil dieser Varianten?

Nein.

b. Ist die im Dezember 2016 vorgesehene Power-to-Heat-Anlage am Standort Moorburg gegenwärtig Bestandteil der Nord-Süd-Variante?

Falls nein, bitte erläutern und begründen.

Die Power-to Heat-Anlage am Einspeisepunkt in das Übertragungsnetz in Moorburg ist weiterhin Bestandteil der Planungen von VWH. Aufgrund der derzeitigen regulatorischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind Power-to-Heat-Anlagen aber als Teil einer Ersatzkapazität für das Heizkraftwerk Wedel nicht wirtschaftlich. Eine direkt in das Übertragungsnetz eingebundene Power-to-Heat-Anlage könnte jedoch das Stromnetz entlasten/stabilisieren und perspektivisch einen respektablen Beitrag zur Integration Erneuerbarer Energien ins Wärmesystem leisten.

12. Herr Schlemmermeier (LBD) gab im ENB am 11.5.2017 an, die zu ersetzende jährliche Fernwärmemenge betrüge 1.300 GWh. Das Gutachten von HIC sah 1.500 GWh vor. Welche jährliche Fernwärmemenge wird in der Projektierung jeweils für die Nord-Variante und für die Nord-Süd-Variante als notwendig für die Ersatzlösung Wedel betrachtet?

Grundsätzlich muss die Wärmemenge ersetzt werden, die aktuell in Wedel erzeugt wird einschließlich zu erwartenden Wachstumspotenziale. Bei der aktuellen Projektierung wird von einer Wärmemenge in Höhe von ca. 1.300 GWh ausgegangen.

13. Herr Wasmuth (VWH) gab im ENB an, dass eine Elbwasser-Groß-wärmepumpe am Standort Wedel erst nach Stilllegung und Rückbau des HKW Wedel errichtet werden könne. Teilt die BUE diese Auffassung und wenn ja, mit welcher Begründung?

Die Überlegungen dazu sind Bestandteil der laufenden Planungen und noch nicht abgeschlossen.