SKA: Atomtransporte durch Hamburg (IX)

Stephan Jersch

Die Senatsantwort auf diese mittlerweile neunte SKA zum brisanten Thema Atomtransporte zeigt einmal mehr, dass es sich für Rot-Grün offenbar um (Atom)Business as usual handelt. Immerhin: Die Tatsache, dass die häufig aufgefallenen fehlenden Deklarationen für Zinnschlacken von der Wasserschutzpolizei inzwischen zu intensiveren Kontrollen geführt haben, ist zumindest ein positiver Punkt.

 

Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Verzicht auf den Umschlag von Atomfracht kann allerdings weiterhin nur als eine reine Schutzbehauptung zur Ruhigstellung der Öffentlichkeit durchgehen. Auch nach zwei Jahren Rot-Grün gibt es weder Gespräche über ein Ende der Atomtransporte durch den Hafen und das Stadtgebiet noch eine konkrete Absicht für solche Gespräche. Hinzu kommt, dass Unternehmen der Stadt sich weiterhin aktiv am Umschlag von Atomfracht beteiligen und auch Hapag-Lloyd, an der die Stadt immerhin maßgeblich beteiligt ist, eine buchstäblich tragende Rolle bei diesen Transporten spielt. Augenscheinlich ist dem Senat der aus diesem Geschäft anfallende Profit wichtiger als Atomausstieg und Sicherheit der Bevölkerung. Das ist gerade jetzt mit der Entdeckung der Nachhaltigkeit und der Sustainable Development Goals der UN ein Armutszeugnis für eine nachhaltige Regierungspolitik in und für Hamburg.

6. Juni 2017

Schriftliche Kleine Anfrage

der Abgeordneten Norbert Hackbusch und Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 31.05.17

und Antwort des Senats

- Drucksache 21/9289 -

 

Betr.: Atomtransporte durch Hamburg (IX)


Bis heute ist die dauerhafte Lagerung hoch radioaktiver Abfälle ungelöst. Im Juli 2016 hat nach zweijähriger Arbeit die Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ ihren Abschlussbericht zur Novellierung des Standortauswahlgesetzes und zu den geowissenschaftlichen Kriterien der (unterirdischen) Lagerung vorgelegt. Gesetz und Ergebnisse der Kommissionen werden von großen Teilen der Anti-Atom-Bewegung abgelehnt und kritisiert.


Hamburgs Hafen bleibt nach der im Mai 2014 in der Bürgerschaft abgelehnten Teilentwidmung für Atomtransporte (vergleiche Drs. 20/11317) weiterhin ein Drehkreuz im internationalen Atomgeschäft – unter anderem zur Versorgung der AKWs. Der Senat teilte in der Drs. 21/4565 zum Thema mit, dass nach rechtlicher Prüfung von Hamburger Seite keine Möglichkeit bestehe, Transporte von radioaktiven Stoffen generell zu untersagen. Trotz Stilllegungen deutscher Atomkraftwerke nach der Katastrophe von 2011 im japanischen Fukushima gibt es augenscheinlich keine sinkende Zahl dieser gefährlichen Frachten. Mehrfach pro Woche finden weiterhin Transporte radioaktiver Stoffe durch Hamburg statt.


Im letzten Jahr sind insgesamt mindestens 175 Atomtransporte, davon 75 Kernbrennstofftransporte durch Hamburg gegangen. Die Anzahl der festgestellten sicherheitsrelevanten Mängel bei Atomtransporten ist rapide gestiegen. Waren es in den vorangegangenen zwei Jahren um die 20 solcher Mängel, sind im letzten Jahr über 80 solcher Mängel festgestellt worden, zum größten Teil falsch deklarierte Zinnschlacken.


Hamburg nimmt aufgrund des sogenannten Elbeabkommens die wasserschutzpolizeilichen Aufgaben für die Partnerländer wahr. Umweltdelikte im Hamburger Hafen sowie Delikte auf den zu Schleswig-Holstein und Niedersachsen gehörenden Teilen der Ober- und Unterelbe fallen in das Tätigkeitsfeld unserer Wasserschutzpolizei. Diese war auch mit dem Schadstoffausstoß des Containerschiffs Yang Ming Utmost auf der Elbe am 04.10.2014
befasst. Nach über zwei Jahren wurde eine Luftverunreinigung nach § 325 Absatz 2 StGB – insbesondere das Tatbestandsmerkmal des Freisetzens von Schadstoffen in bedeutendem Umfang in die Luft außerhalb eines Betriebsgeländes – festgestellt. Die als Verursacher bezeichneten Seeoffiziere allerdings hatten da schon das Unternehmen verlassen und sind wohl weiterhin unauffindbar. Damit stellt sich die Situation so dar, als ob Verstöße
gegen das Umweltrecht auf der Elbe nur unzureichend geahndet werden können.


Über die Ankündigung im rot-grünen Koalitionsvertrag hinaus, auf freiwilligen Verzicht von Atomfrachtbehandlung durch die Hafenwirtschaft zu setzen, hat der Senat unter anderem in der Drs. 21/6924 ausgeführt, dass die zuständige Behörde Gespräche mit Beteiligten bezüglich des freiwilligen Verzichts auf den seeseitigen Transport und Umschlag von atomaren Stoffen aufgenommen hat.


Zwar gibt der Senat nach § 1 der Verschlusssachenanweisung für die
Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg (HmbVSA) vom 1. Dezember 1982 im Voraus keine Auskunft zu Kernbrennstofftransporten, da Informationen über zukünftige Kernbrennstofftransporte aus Sicherheitsgründen bundesweit als „Verschlusssache/nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft sind, aber wenigstens Angaben zu bereits durchgeführten Transporten sind aus den seit Jahren immer wieder aus der Fraktion DIE LINKE gestellten diversen Anfragen, zuletzt der Drs. 21/8147 im Februar, für die interessierte
Öffentlichkeit ablesbar.


Um weiterhin möglichst vollständige Zahlen über Anzahl, Art und Umfang der Atomtransporte zumindest durch Hamburgs Hafen verfügbar zu machen, werden aus der Fraktion DIE LINKE hier zum 27. Mal dem Senat umfassend Fragen zum Themenkomplex gestellt.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat, bezogen auf Transporte von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen in und aus dem Hamburger Hafen sowie durch das Hamburger Stadtgebiet ab dem 28.02.2017 bis zum Zeitpunkt der Bearbeitung dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage:


(Bitte die Tabellen in den Anlagen 1 und 2 zur Drs. 21/8147 für alle Transporte entsprechend fortführen, das heißt die Antworten auf die Fragen 1. bis 11. tabellarisch auflisten und nach Datum sortieren.)


1. Wann erfolgten Transporte von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen (bitte Datum des Eingangs beziehungsweise Ausgangs soweit vorhanden)?

2. Um welche beförderten Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe handelte es sich dabei jeweils?

3. In welchem Umfang und welcher Menge sind Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe jeweils transportiert worden (bitte Angabe im passenden Maß)?

4. Wie hoch war die jeweilige Aktivität der Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe (bitte Angabe im passenden Maß)?

5. Wie wurden die Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe
jeweils klassifiziert?

6. Welche Art von Behältern wurde zum Transport der Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe jeweils verwendet (bitte genaue Typen-Kennung der Behälter angeben)?

7. Welche Beförderungsmittel (zum Beispiel Schiff, Bahn oder Lkw) wurden zum Transport der Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe jeweils verwendet?

8. Wo wurden die Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe
jeweils umgeladen?

9. Wie lange wurden die Kernbrennstoffe und sonstigen radioaktiven Stoffe jeweils gelagert?

10. Wer war der jeweilige Absender (Firma mit Ortsangabe) der Kernbrennstoffe?

11. Wer war der jeweilige Empfänger (Firma mit Ortsangabe) der Kernbrennstoffe und welcher (bei sonstigen radioaktiven Stoffe) der Zielhafen?


Die Angaben zu den meldepflichtigen Kernbrennstofftransporten für den Zeitraum vom 28. Februar 2017 bis zum 1. Juni 2017 sind in der Anlage 1 zusammengestellt (zur Legende siehe Anlage 6).


Daten über die im Gefahrgut-Informations-System der Polizei (GEGIS) gemeldeten Transporte liegen nur für die jeweils letzten drei Monate vor. Die Transportvorgänge mit sonstigen radioaktiven Stoffen für den Zeitraum vom 01. März 2017 bis zum 01. Juni 2017 sind in Anlage 2 zusammengefasst. Die Dauer des Umschlags sowie die Namen und Adressen der Absender und der Empfänger werden im Gefahrgut-Informations-System GEGIS nicht erfasst.


Die Wasserschutzpolizei hat bei Kontrollen Sendungen von sogenannten Zinnschlacken in Containern mit Löschhafen Hamburg sowie eine nicht ordnungsgemäß deklarierte Strahlenquelle aus dem medizinischen Bereich festgestellt. Bei den Zinnschlacken handelt es sich aufgrund der überschrittenen Klassifizierungsgrenzwerte um gefährliche Güter der Klasse 7 im Sinne der Gefahrguttransportvorschriften (sonstige radioaktive Stoffe, Klasse 7/UN2910 bzw. in einigen Fällen 7/UN2912), bei der medizinischen Strahlenquelle (Co-60) um sonstige radioaktive Stoffe der Klasse 7/UN2915. Diese Transporte erreichten den Hamburger Hafen vom Abgangsort, ohne als Gefahrgut deklariert zu sein. Aus diesem Grund sind zu diesen Transporten keine Daten im GEGIS eingetragen. Die Sendungen wurden unter Einhaltung aller gefahrgutrechtlichen Vorschriften zum Empfänger weiterbefördert. Die erfragten Angaben sind in der Anlage 3 aufgeführt.



12. Zuletzt in der Drs. 21/8147 gab der Senat Überblick über Mängel bei der Kontrolle von Güterbeförderungseinheiten (CTU) im Zusammenhang unter anderem mit radioaktiven Stoffen der Klasse 7 für Schiffe und Lkw bis zum Anfang März.

Sind dem Senat für die Zeit danach solche bekannt?

Wenn ja, bitte mit Datum und möglichst konkreter Beschreibung der Mangelart unter anderem wie in Anlage 3 zur Drs 21/2132 aufführen.

In der Drs. 20/13644 führt der Senat aus, Umschlag von mit Luftfracht transportierten Kernbrennstoffen habe es in Hamburg seit vielen Jahren nicht gegeben. Über den Transport von sonstigen radioaktiven Stoffen per Luftfracht lägen dem Senat keine Informationen vor, da die Zuständigkeit für die Aufsicht für diesen Transportweg beim Luftfahrtbundesamt liegt. In der Drs. 20/14621 führt der Senat aus, die Zuständigkeit für die Aufsicht über Transporte radioaktiver Stoffe auf bundeseigenen Eisenbahnstrecken liege beim Eisenbahnbundesamt. Vor diesem Hintergrund fragen wir, ob dem Senat über den Schifftransport hinaus auch Beanstandungen bei anderen Transportarten bekannt sind?

Wenn ja, bitte in der Tabelle mit angeben.


Daten über die bei Kontrollen festgestellten Mängel im Zusammenhang mit dem Transport radioaktiver Güter für den Zeitraum vom 28. Februar 2017 bis zum 1. Juni 2017 sind in der Anlage 4 zusammengestellt. In diesem Zeitraum wurden durch die Polizei 146 Kontrollen im Zusammenhang mit dem Transport radioaktiver Güter auf Schiffen, auf der Straße und im Schienenverkehr durchgeführt. Davon verliefen 132 Kontrollen ohne Beanstandungen, 14 Kontrollen im Zusammenhang mit dem Verkehrsträger Schiff führten zu 14 Mängeln formaler und sieben Mängeln sicherheitsrelevanter Art. Im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr wurde bei einer Kontrolle ein formaler und ein sicherheitsrelevanter Mangel festgestellt. Im Straßenverkehr und im Schienenverkehr im Zuständigkeitsbereich der Polizei Hamburg wurden keine Mängel festgestellt.


Der überwiegende Anteil der als sicherheitsrelevant eingestuften Mängel ist auf die Beförderung von sogenannten Zinnschlacken zurückzuführen (sechs von sieben sicherheitsrelevanten Mängeln), siehe dazu auch Antworten zu 1. bis 11. und 13.



13. Die durch die Wasserschutzpolizei festgestellte Anzahl der sicherheitsrelevanten Mängel bei Atomtransporten ist rapide auf im vergangenen Jahr über 80 gestiegen. Wie erklärt der Senat diesen Sachverhalt? Könnte eine eventuell bessere (personelle und Mittel-)Ausstattung der WSP weitere Erfolge zeigen?


Die Wasserschutzpolizei hat Transporte von Zinnschlacken, bei denen der überwiegende Anteil der sicherheitsrelevanten Mängel auftrat, als Problemfeld identifiziert und ihre Kontrolltätigkeit in diesem Bereich seit Beginn des Jahres 2016 intensiviert. Eine Vielzahl der im Jahr 2016 festgestellten sicherheitsrelevanten Mängel bezieht sich auf die in den Absenderländern nicht beziehungsweise nicht richtig vorgenommene Deklaration als Gefahrgut der Klasse 7. Darüber hinaus ist der Anstieg der Fallzahlen durch eine Intensivierung der Kontrollen der WSP im Bereich der Ladungssicherung zu erklären.


Verstärkte Kontrolltätigkeiten der Polizei beim Transport gefährlicher Güter führen nach den Erfahrungen der Polizei zunächst zu steigenden Fallzahlen bei festgestellten Mängeln. Nach Auffassung der Polizei ist im weiteren Verlauf durch sorgfältigere Deklaration der Güter durch die Versender eine Reduzierung der Beanstandungen zu erwarten.



Bezogen auf zukünftige Transporte von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen in und aus dem Hafen Hamburg sowie durch das Hamburger Stadtgebiet fragen wir soweit Meldungen vorliegen:

14. Hat es seit Anfang März bei der hamburgischen Genehmigungsbehörde (Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) weitere Antragstellungen/Genehmigungen auf Zulassung zur Beförderung „sonstiger radioaktiver Stoffe“ gegeben?

Wenn ja, bitte die Unternehmen auflisten.


Nein, es ist keine Genehmigung nach § 16 Strahlenschutzverordnung seit März 2017 erteilt worden.



15. Wie viele und welche gültigen Genehmigungen für den Transport radioaktiver Stoffe liegen der Umweltbehörde derzeit vor? Bitte auflisten mit Genehmigungsnummer, Beginn und Ende der Genehmigungsdauer, maximal zulässiger Transportzahl und Menge (in Kilogramm oder Tonnen), Absender und Empfänger, Transportmittel und Art des Stoffes
sowie der Behälterbezeichnung.


In der Anlage 5 (zur Legende siehe Anlage 6) sind die zum Zeitpunkt dieser Anfrage der zuständigen Behörde vorliegenden Genehmigungen für Kernbrennstofftransporte aufgelistet. Weitere Angaben werden nicht erfasst. Auf die vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (seit 30.Juli 2016 zuständig) regelmäßig aktualisierte Liste aller gültigen Transportgenehmigungen wird verwiesen: (https://www.bfe.bund.de/SharedDocs/Downloads/BfE/DE/fachinfo/ne/transportgenehmigungen.html).



16. Aus den Drs. 21/6924 und 21/8147 geht hervor, dass die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) bis Ende Februar mit Vertretern dreier Umschlagsunternehmen sowie Reedereien das Thema Selbstverzicht auf Atomtransporte beziehungsweise -umschlag besprochen habe. Haben mittlerweile weitere Gespräche stattgefunden beziehungsweise sind Termine vereinbart?

Wenn ja, wann mit wem?

Wenn nein, warum nicht?

17. Bis wann will der Hamburger Senat die „freiwillige Selbstbeschränkung" für Atomtransporte auf den Weg bringen?

18. Warum werden nicht zumindest bei den öffentlichen Hafenbetrieben entsprechende Verbotsregelungen getroffen?

19. Die Reederei Hapag-Lloyd – teils im Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg – ist als ein Hauptakteur für den Transport von Uranhexafluorid (UF6/UN-Nummer: 2978) im Hamburger Hafen anzusehen. Insgesamt wurden nach Berechnungen von Atomtransportgegnern im letzten Jahr aus Kanada 3.859 Tonnen (Bruttomasse) UF6 umgeschlagen, welche unter anderem in der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau angereichert werden. Diese UF6-Transporte sind Voraussetzung für die Herstellung von Brennstäben, die AKWs in aller Welt befeuern. Hat der Senat, etwa bei der Aktionärsversammlung Hapag-Lloyds am 26. Mai 2017 den Unternehmensvorstand aufgefordert, seinen im rot-grünen
Koalitionsvertrag vereinbarten freiwilligen Verzicht auf Atomtransporte umzusetzen? Wenn bisher keine Gespräche zu diesem Thema liefen, warum nicht und sind welche geplant beziehungsweise warum nicht?


Bislang wurden keine weiteren Gespräche geführt. Im Übrigen sind die Überlegungen dazu noch nicht abgeschlossen.


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